Das Böse kommt auf leisen Sohlen
und bleibt lange im Leben, wenn der Oktober dem September folgt und der November den Oktober berührt, und statt Dezember und Christi Geburt gibt es keinen Stern von Bethlehem, kein Jubilieren, sondern es kommt wiederum der September und der alte Oktober und so fort, all die Jahre hindurch, ohne Winter, Frühling oder belebenden Sommer. Für diese Wesen ist der Herbst die ewig gleiche, normale Jahreszeit und das einzige Wetter, sie kennen nichts anderes. Woher kommen sie? Aus dem Staub. Wohin gehen sie? Ins Grab. Regt sich Blut in ihren Adern? Nein, nur der Nachtwind. Was tickt in ihren Köpfen? Der Wurm. Was spricht aus ihrem Munde?
Verlockung. Was blickt aus ihrem Auge? Die Schlange.
Was lauscht mit ihren Ohren? Der Abgrund zwischen den Sternen. Sie suchen in den Stürmen nach menschlichen Seelen, essen das Fleisch der Erkenntnis, füllen die Gräber mit Sündern. So treiben sie es immer weiter. In Schwärmen kriechen sie wie Käfer, schleichen, sickern, bewegen sich, lassen die Monde düster scheinen und hüllen alle klar fließenden Bäche in Nebel. Die Spinnwebe hört sie, zittert – zerreißt. Das sind die Männer des Herbstes. Nehmet euch vor ihnen in acht..."
Nach einer langen Pause stießen die beiden Jungen gleichzeitig die Luft aus.
"Die Männer des Herbstes", sagte Jim. "Ja, klar, das sind sie!"
"Dann..." Will schluckte. "Dann sind wir – Menschen des Sommers?"
"Nicht ganz." Charles Halloway schüttelte den Kopf.
"Ach, ihr seid dem Sommer näher als ich. Wenn ich wirklich je ein echter Sommermensch war, so ist das lange her. Die meisten von uns sind halb-und-halb. Der Augustmittag in uns wehrt die Novemberfröste ab. Wir leben nur von dem bißchen Unabhängigkeit, das wir uns bewahrt haben. Doch es gibt Zeiten, da sind wir alle Männer des Herbstes."
"Du nicht, Dad!"
"Sie doch nicht, Mr. Halloway!"
Er drehte sich rasch um und sah die beiden bleichen Gesichter, die ihn bewundernd ansahen. Die Jungen hatten die Hände auf die Knie gestützt, als wollten sie aufspringen.
"Man sagt nur so. Nur die Ruhe, Jungs! Ich bin nur hinter den Tatsachen her. Will, kennst du deinen Dad denn wirklich? Du solltest mich kennen, wie ich dich kenne, wenn es heißt, wir gegen sie!"
"Na ja", hauchte Jim. "Aber wer sind Sie dann?"
"Teufel, wir wissen doch, wer er ist!" protestierte Will.
"So? Wirklich?" fragte sein Vater. "Laßt mal sehen. Charles William Halloway. Nichts Ungewöhnliches dran, außer daß ich vierundfünfzig bin, und das ist immer ungewöhnlich für den, der drinsteckt. Geboren in Sweet Water, aufgewachsen in Chicago, in New York am Leben geblieben, Detroit überstanden, überall herumgekommen, schließlich hier gelandet, nachdem ich all die Jahre in den Bibliotheken des ganzes Landes zubrachte, weil ich allein sein wollte, weil ich in den Büchern nachschlagen wollte, was ich unterwegs gesehen hatte. Dann mitten im Davonlaufen – ich nannte es Reisen – im neununddreißigsten Lebensjahr, kam deine Mutter und machte mich mit einem Blick seßhaft. Also bin ich seitdem hier geblieben. Fühle mich nachts in der Bibliothek immer noch am wohlsten, wenn ich nicht draußen im Regen der anderen Menschen stehe. Ist das meine letzte Station? Gut möglich. Warum bin ich überhaupt hier? Im Augenblick, wie es scheint, um euch zu helfen."
Er hielt inne und sah die beiden Jungen mit ihren prächtigen, offenen Gesichtern an.
"Ja", sagte er. "Das Spiel ist schon fast aus. Um euch zu helfen."
Neununddreißigstes Kapitel
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Alle nachtverhangenen Fenster der Bibliothek erzitterten vor Frost und Kälte.
Der Mann und die beiden Jungen warteten, bis der Sturm vorbei war.
Als es ruhiger wurde, sagte Will: "Dad, du hast uns immer geholfen."
"Danke, aber das stimmt nicht." Charles Halloway betrachtete seine leere Hand. "Ich bin ein Narr. Schau dir immer über die Schulter, um zu sehen, was kommen wird, nie ins Gesicht, um zu sehen, was da ist. Aber insofern kann ich mich beruhigen: Jeder ist ein Narr. Das heißt, du strengst dich dein Lebtag an, packst zu, holst andere heraus, machst die Leine fest, verputzt, streichelst Wangen, küßt Stirnen, lachst und weinst und tust alles mögliche für den einen Tag, wo du selber der allerdümmste Narr bist und laut ›Hilfe!‹ schreist. Alles was du dann brauchst, ist ein Mensch, der dir Antwort gibt. Ich sehe es so klar und deutlich. Im ganzen Land liegen
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