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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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sein. 
    Die Blicke der beiden machten Charles Halloway nachdenklich. 
    Wie sollte er sich ausdrücken, damit sie ihn verstanden? Konnte er sagen, Liebe sei vor allen Dingen gesunder Menschenverstand, gemeinsame Erfahrung? Das war doch der lebenswichtige Kitt, nicht wahr? Konnte er ihnen sagen, wie ihm ums Herz war, weil sie an diesem Abend hier beisammen waren, auf einer wilden Welt, die um eine große Sonne kreiste, die durch einen größeren Raum, durch noch unendlichere Weiten des Universums stürzte, vielleicht auf etwas zu, vielleicht von etwas weg? Sollte er ihnen sagen: Wir legen diese Milliarden Meilen in der Stunde gemeinsam zurück? Wir stehen gemeinsam gegen die Nacht? Warum liebt man den Jungen, der im März auf einer Wiese einen Drachen steigen läßt? Weil unsere Finger brennen, wenn uns heiß die Schnur durch die Hand gleitet. Mit solchen kleinen Dingen fängt es an. Warum liebt man irgendein Mädchen, das man vom Zug aus sieht, wie es sich zu einem Brunnen niederbeugt? Die Zunge erinnert sich an kühles, eisenhaltiges Wasser an einem längst vergangenen, heißen Mittag. Warum weint man über einen Fremden, der tot am Straßenrand liegt? Er sieht einem Freund ähnlich, den man seit vierzig Jahren nicht mehr gesehen hat. Warum lachen wir, wenn ein Clown eine Torte ins Gesicht geworfen bekommt? Wir schmecken die Creme, wir schmecken das Leben. Warum liebt man die eigene Frau? Mit ihrer Nase atmet sie die Luft einer Welt ein, die wir kennen; darum liebe ich diese Nase. Ihr Ohr hört die Melodie, die ich vielleicht die halbe Nacht lang summe; darum liebe ich diese Ohren. Ihre Augen erfreuen sich am Wandel der Jahreszeiten in der Landschaft; deshalb liebe ich ihre Augen. Ihre Zunge kennt Quitten, Pfirsiche, Apfelbeeren, Minze und Zitrone; ich höre sie gern sprechen. Ihre Haut kennt Hitze und Kälte und Schmerz, ich kenne Feuer, Schnee, Schmerzen. Immer wieder sind es gemeinsame Erfahrungen. Milliarden prickelnder Empfindungen. 
    Schneide einen der Sinne ab, so schneidest du einen Teil des Lebens weg. Schneide zwei Sinne fort, und es fehlt die Hälfte des Lebens. Wir lieben, was wir wissen, wir lieben, was wir sind. Gemeinsame Sache. Gemeinsame Sache von Mund, Auge, Ohr, Zunge, Hand, Nase, Herz und Seele. 
    Aber... Wie sagt man das? 
    "Seht ihr", versuchte er es, "steckt zwei Männer in einen Eisenbahnwaggon. Einer ist Soldat, der andere Farmer. Der eine redet vom Krieg, der andere vom Weizen. Jeder langweilt den anderen, bis der einschläft. 
    Aber laß nur einen von ihnen Langlauf erwähnen, und der andere ist ein einziges Mal in seinem Leben die Meile gelaufen, so werden diese beiden Männer die ganze Nacht lang gemeinsam rennen. Ihre Freundschaft entzündet sich an der Erinnerung. So haben alle Männer ein gemeinsames Interesse: Frauen. Darüber können sie bis Sonnenaufgang und noch länger reden. Teufel." 
    Charles Halloway hielt wieder inne, wurde wieder rot. 
    Er wußte, da vorn war irgendwo das Ziel, aber er wußte nicht, wie er dahingelangen sollte. Er biß sich auf die Lippen. 
    Dad, hör nicht auf, dachte Will. Solange du redest, ist es herrlich hier drin. Du wirst uns retten. Rede nur weiter. 
    Der Mann las es in den Augen seines Sohnes. Er sah denselben Blick bei Jim. Er ging langsam um den Tisch herum, berührte hier ein Tier der Nacht, dort ein paar Hexen, einen Stern, den strahlenden Mond, eine uralte Sonne, ein Stundenglas, das die Zeit nicht mit feinem Sand, sondern mit dem Staub alter Gebeine maß. 
    "Hab ich schon gesagt, daß ich eigentlich über Güte reden wollte? Gott, ich weiß es nicht. Ein Fremder wird auf offener Straße niedergeschossen, und du rührst kaum einen Finger, ihm zu helfen. Aber hättest du nur eine halbe Stunde zuvor zehn Minuten mit dem Burschen verbracht und etwas über ihn und seine Familie erfahren, so würdest du dich dem Mörder in den Weg werfen und versuchen, das Verbrechen zu verhindern. Wirklich wissen ist gut. Nichtwissen, nicht wissen wollen, das ist schlecht, böse, zumindest unmoralisch. Man kann nicht handeln, wenn man nicht weiß. Wer etwas tut, ohne zu wissen, der fällt von der Klippe. Mein Gott, ihr müßt mich für verrückt halten, daß ich so rede! Ihr denkt vielleicht, wir sollten lieber auf die Entenjagd gehen oder Ballone abschießen, wie du es gemacht hast, Will, aber zuvor müssen wir alles über diese Mißgeburten und den Mann wissen, der sie beherrscht.

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