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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Wir können nicht gut sein, wenn wir nicht wissen, was böse ist, und es ist nur schade, daß die Zeit gegen uns arbeitet. Am Sonntagabend macht der Zirkus schon früh zu, und die Leute gehen nach Hause. Ich habe das Gefühl, die Männer des Herbstes werden uns dann besuchen. Bis dahin haben wir vielleicht noch zwei Stunden Zeit." 
    Jim stand am Fenster und blickte hinaus über die Dächer der Stadt zu den fernen schwarzen Zelten und der Zirkusorgel, die nun vom Kreisen der Erdkugel in der Nacht angetrieben wurde. 
    "Ist das denn böse?" fragte er. 
    "Böse?" rief Will zornig. "Böse! Wie kannst du das nur fragen?" 
    "Ruhe!" sagte Wills Vater. "Das war eine gute Frage. 
    Ein Teil der Schau wirkt ganz großartig. Aber hier gilt wirklich das alte Sprichwort: Für nichts kriegt man nichts. Bei denen da ist es so, daß man nichts für etwas kriegt. Sie machen leere Versprechungen, du hältst den Kopf hin – bums!" 
    "Wo kommen sie her?" fragte Jim. "Wer sind sie eigentlich?" 
    Will trat mit seinem Vater ans Fenster. Gemeinsam blickten sie hinaus zu den schwarzen Zelten. Dann sagte Charles Halloway zu diesen Zelten: 
    "Früher einmal war es vielleicht nur ein einziger Mann, der durch Europa wanderte, mit klingenden Schellen an den Fußgelenken, eine Laute auf dem Buckel. Das war lange vor Kolumbus. Vielleicht lief vor einer Million Jahren ein Mann in einer Affenhaut herum, stopfte sich mit dem Unglück anderer voll, kaute den ganzen Tag ihre Leiden wie Kaugummi, saugte den süßen Geschmack heraus und lief dann schneller, belebt von menschlichem Leid. Sein Sohn hat dann vielleicht die Baumfallen, die Menschenfallen, die Knochenmühlen, die Kopfschrauben, die Zangen und Seelenmartern seines Vaters verfeinert. Sie legten den Schaum auf einsame Teiche, von dem die Mücken aufstiegen, in Nasen kletterten, Stechmücken in der Sommernacht, die Beulen stachen, aus denen die Zirkusleute so gern wahrsagen. Einer hier, einer da, rasch und aalglatt wie ihre Blicke, so wurden es Herden von Werwölfen, die um Gaben des Bösen bettelten, Unheil verbreiteten, unter den Teppichen nach den Spuren von Tausendfüßlern suchten, den Schweiß der Nacht beobachteten, an den Türen aller Schlafzimmer lauschten und hörten, wie die Menschen sich in Reue und heißen Träumen hin und her warfen. 
    Der Stoff, aus dem Alpträume gemacht werden, ist ihr täglich Brot. Die Butter darauf der Schmerz. Sie stellen ihre Uhren nach dem Totenwurm und gedeihen im Laufe der Jahrhunderte. Das waren die Männer mit den neunschwänzigen Peitschen, die aus Schweiß die Pyramiden errichteten und sie mit dem Salz und den gebrochenen Herzen anderer würzten. Sie hockten auf den Schimmeln der Pest als Fluch Europas. Sie flüsterten Cäsar zu, daß er sterblich sei, dann verkauften sie Dolche zum halben Preis. Einige von ihnen müssen träge Clowns, Hofnarren für Kaiser, Fürsten und epileptische Päpste gewesen sein. Dann lagen sie wieder auf der Straße, als Zigeuner, und ihre Zahl vermehrte sich mit der Bevölkerung der Welt, breitete sich aus. Es gab nun köstlichere Arten des Schmerzes, sich daran zu mästen. 
    Die Erfindung der Eisenbahn hat ihnen Räder gegeben, und auf Rädern rollten sie die lange Straße aus Gotik und Barock in die Neuzeit. Seht euch ihre Wagen an, die Schnitzereien wie auf mittelalterlichen Schreinen, alles Dinge, die früher einmal von Pferden, Mulis oder auch Menschen gezogen wurden." 
    "All die Jahre." Jim verschluckte sich. "Immer dieselben Leute? Glauben Sie, daß Mr. Cooger oder Mr. Dark ein paar hundert Jahre alt sind?" 
    "Wenn sie auf diesem Karussell fahren, so können sie doch ein oder zwei Jahre abschütteln, sooft sie nur wollen, oder nicht?" 
    "Aber dann..." Ein Abgrund tat sich vor Wills Füßen auf. "Dann könnten sie doch ewig leben!" 
    "Und den Menschen Böses antun." Jim dachte angestrengt nach. "Aber warum? Warum tun sie Böses?" 
    Mr. Halloway antwortete: "Weil sie doch Benzin, Treibstoff brauchen, irgend etwas, um den Zirkus am Laufen zu halten. Frauen leben vom Tratsch, und was ist Tratsch schon anderes als ein Schleim aus Kopfschmerzen, üblem Speichel, arthritischen Knochen, zerrissenem und geflicktem Fleisch, Indiskretionen, Gewittern des Wahnsinns, Ruhe nach dem Sturm? Wenn manche Leute nicht immer etwas Saftiges zum Durchkauen hätten, würden ihnen die Zähne auswachsen und ihre Seelen dazu. Vervielfacht ihr Vergnügen

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