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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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regungslosen Garde der Bücher, die wie Runensteine der Ewigkeit auf ihren Regalen verharrten. Diese ragten so hoch auf, daß auf sie unsichtbar das ganze Jahr der Schnee fiel. 
    Draußen ging der Atem der Stadt zum Zirkus und zurück. 
    Hunderte von Menschen kamen an der Stelle vorbei, wo Jim und Will unter den Büschen neben der Bibliothek lagen, sich aufrichteten und dann wieder ihre Nasen an die feuchte Erde preßten. 
    "Ha-tschi!" 
    Sie erstickten das Niesen im Gras. Auf der anderen Straßenseite kam einer vorbei, vielleicht ein Junge, vielleicht ein Zwerg, vielleicht ein Junge mit Zwergenverstand. Alles konnte es sein, vorbeigetrieben wie die rascheldürren Blätter auf den Bürgersteigen. 
    Doch dann ging er weiter, was es auch war; Jim setzte sich auf, Will lag immer noch mit dem Gesicht im guten, sicheren Schmutz. 
    "Los, was ist denn?" 
    "Die Bibliothek", murmelte Will. "Jetzt fürcht ich mich auch schon davor!" All die Bücher, dachte er, zusammengedrängt in engen Reihen, Hunderte von Jahren alt, die Lederhaut abblätternd, aneinandergelehnt wie zehn Millionen Aasgeier. Wenn man an den dunklen Stapeln vorbeigeht, dann beobachten einen die goldenen Augen der ungezählten Titel. Ein alter Zirkus, eine alte Bibliothek, sein alter Vater – alles alt... 
    "Ich weiß, Dad ist da drin, aber ist es auch wirklich Dad? Ich meine, wenn sie nun gekommen sind, ihn verwandelt haben, ihn böse gemacht haben, ihm etwas versprochen haben, was sie ihm nicht geben können, woran er aber glaubt. Wir beide gehn da hinein, und irgendwann in fünfzig Jahren macht jemand ein Buch auf, und wir beide fallen heraus, purzeln wie zwei ausgetrocknete Motten auf den Fußboden, Jim. Jemand preßt uns wie eine Pflanze zwischen den Seiten, und keiner weiß, wo wir geblieben sind..." 
    Jim wurde es zu viel. Er mußte etwas unternehmen, sich aufmuntern. Bevor Will etwas tun konnte, klopfte Jim an die Tür. Dann hämmerten sie beide dagegen und hatten nichts anderes im Sinn, als aus der Nacht in die wärmere, nach Büchern riechende Nacht da drin zu fliehen. Wenn sie sich die Art der Dunkelheit aussuchen konnten, dann war das die bessere: der heimliche Büchergeruch, und Dad stand mit seinem geisterfarbenen Haar auf der Schwelle. Auf Zehenspitzen schlichen sie durch die verlassenen Gänge. Will verspürte den Drang, laut zu pfeifen, wie er es oft tat, wenn er bei Sonnenuntergang am Friedhof vorbeikam. Dad fragte, warum sie sich verspätet hätten. Und sie versuchten sich an all die Orte zu erinnern, an denen sie sich tagsüber versteckt hatten. 
    Sie waren in alten Garagen untergeschlüpft, in alten Scheunen, sie hatten sich in den höchsten Bäumen versteckt, die sie erklimmen konnten, und als die Langeweile schlimmer wurde als ihre Angst, waren sie wieder heruntergeklettert, zum Polizeichef gegangen und bei einem freundlichen Gespräch zwanzig Minuten lang im Revier sicher gewesen. Dann kam Will auf die Idee, die Kirchen zu besuchen. Sie stiegen in alle Kirchtürme der Stadt, verscheuchten die Tauben von den Simsen und fühlten sich zumindest sicher, auch wenn keiner wirklich sagen konnte, ob sie in den Kirchen und insbesondere hoch oben bei den Glocken tatsächlich sicher waren. Aber auch da packte sie die Langeweile, das Ewiggleiche ermüdete sie. Sie waren schon nahe daran, sich den Zirkusleuten zu stellen, damit sie wenigstens etwas zu tun hatten, da ging glücklicherweise die Sonne unter. 
    Von Sonnenuntergang bis jetzt war es herrlich gewesen. 
    Sie hatten sich an die Bibliothek angeschlichen, als sei sie ihre alte Festung, die inzwischen von Arabern erobert worden war. 
    "Und nun sind wir hier", schloß Jim flüsternd. Dann hielt er inne. "Warum flüstere ich eigentlich? Die Bibliothek ist doch längst geschlossen! Teufel!" 
    Er lachte, dann brach er ab. 
    Er glaubte nämlich, irgendwo in den unterirdischen Kammern leise Schritte vernommen zu haben. 
    Doch es war nur sein Lachen, das auf leisen Pantherpfoten durch die hohen Regale zu ihm zurückkam. 
    Als sie dann weiterredeten, flüsterten sie wieder. Tiefer Wald, dunkle Höhlen, dämmrige Kirchen, halbdunkle Bibliotheken – alles dasselbe, sie dämpfen einen, wirken bedrückend, lassen nur Flüstern und halblaute Rufe zu, aus Angst, geisterhafte Zwillinge der eigenen Stimme könnten auferstehen und durch die Gänge huschen, die man längst wieder verlassen hat. 
    Sie kamen in den kleinen

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