Das Bourne Duell
würde sie eine Luftspiegelung in der Wüste sehen. »Warum ich? Ich verstehe es immer noch nicht.«
»Ms. Trevor, Sie haben … wie soll ich sagen … in gewisser Weise einzigartige Fähigkeiten, die von großem Wert sein werden, wenn es darum geht, meinen Laptop wiederzufinden und zurückzubringen.«
»Und diese Fähigkeiten wären … was genau?«
»Sie haben es mit Black River und der NSA aufgenommen, und das mit Erfolg. Glauben Sie, ich würde auch nur einen Privatdetektiv finden, der etwas Ähnliches geschafft hat?« Er sah sie mit einem breiten Lächeln an und zeigte seine großen, strahlend weißen Zähne, die aus seinem nussbraunen Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den tief liegenden Augen hervorleuchteten. »Sie brauchen nicht zu antworten, das war keine Frage.«
»Okay, dann frage ich Sie etwas: Glauben Sie, dass
irgendein Geheimdienst mit dem Diebstahl zu tun haben könnte?«
Essai schien eine Weile zu überlegen, doch Moira hatte das deutliche Gefühl, dass er sich darüber längst im Klaren war.
»Es wäre möglich«, sagte er schließlich. »Sogar wahrscheinlich.«
Moira verschränkte die Arme vor der Brust, wie um sich dagegen zu wehren, dass er ihre Entschlossenheit mit seinen Argumenten untergrub. Er schien ihr eine dunkle Energie auszustrahlen, wie sie sie noch nie gespürt hatte, so als würde sie zu nahe an einem Teilchenbeschleuniger sitzen. Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Es tut mir leid.«
Essai nickte. Es schien, als könnte ihn nichts, was sie sagte oder tat, überraschen.
»Trotzdem – das ist für Sie.«
Er reichte ihr einen Umschlag, den Moira misstrauisch und mit einem flauen Gefühl im Magen betrachtete. Warum fühlte sie sich wie Eva, die den Apfel vom Baum der Erkenntnis stahl? Dennoch nahm sie den Umschlag, so als würden ihre Hände zu jemand anderem gehören.
»Bitte. Es sind keine Bedingungen daran geknüpft«, versicherte Essai.
Sie zögerte einen Augenblick, dann öffnete sie den Umschlag. Drinnen fand sie ein Observationsfoto von einem der Top-Leute, die sie von Black River abgeworben hatte. Das Bild zeigte den Mann zusammen mit dem Leiter der Operationsabteilung der NSA.
»Tim Upton? Er ist der NSA-Maulwurf? Das Foto ist nicht am Computer fabriziert, oder?«
Essai sagte nichts, und so sah sie sich das beigefügte Blatt an, auf dem Zeiten und Orte angegeben waren, wo sich Upton heimlich mit verschiedenen NSA-Leuten getroffen hatte. Sie seufzte tief, lehnte sich auf dem Sitz zurück und klappte die Akte langsam zu.
»Das ist sehr großzügig von Ihnen.«
Essai zuckte die Achseln, so als wäre es nicht der Rede wert. Wie auf Stichwort hielt der Rolls an.
»Auf Wiedersehen, Ms. Trevor.«
Moira streckte die Hand nach dem Türgriff aus, dann drehte sie sich noch einmal zu dem bärtigen Mann um. »Warum ist dieser Laptop eigentlich so wertvoll für Sie?«
Essai lächelte über das ganze Gesicht.
VIER
Bourne traf an einem ausgesprochen trüben und windigen Vormittag in London ein. Ein leichter Sprühregen ging über der Themse nieder und hüllte den Big Ben ein, und der tief stehende Himmel lastete schwer auf der Stadt. Die Luft stank nach Benzin und Kohlenstaub, aber vielleicht waren es auch nur Schmutzteilchen von Industriebetrieben, die vom Wind aufgewirbelt wurden.
Suparwita hatte ihm die Adresse von Noah Perlis’ Wohnung gegeben. Es war die einzige konkrete Spur zurück in eine Vergangenheit, an die er sich nicht mehr erinnern konnte. Er saß auf dem Rücksitz eines Taxis, das ihn von Heathrow in die Stadt brachte, und sah aus dem Fenster, ohne irgendetwas zu sehen. Er vergaß manchmal ganz, dass er ein Leben vor seiner Amnesie hatte, doch manchmal tauchte ganz plötzlich, wie ein Schlag ins Gesicht, das eine oder andere Bruchstück aus der Vergangenheit auf und rief ihm wieder in Erinnerung, dass er zu einem großen Teil seines Lebens keinen Zugang mehr hatte. Dann fühlte er sich irgendwie unvollständig, wie ein Mensch, der nur ein halbes Leben führt und der mit einem Schatten leben muss, den er nicht zu sehen bekommt und der nicht greifbar ist. Und
doch war er da, ein Teil von ihm, auf den ihm nur ganz selten ein flüchtiger Blick vergönnt war.
Das war ihm auch auf Bali passiert, als er Suparwita aufsuchen wollte und zum Tempelkomplex von Lempuyang hinaufstieg. Er stand an genau dem Platz, von dem er geträumt hatte, und erfuhr, dass er sich einst vor seiner Amnesie hier mit Holly Marie Moreau hatte treffen wollen. Und plötzlich
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