Das Bourne Duell
erinnerte er sich daran, wie er damals aus der Entfernung hilflos hatte zusehen müssen, wie sie in den Tod stürzte. Wie sich dann herausstellte, war es Noah Perlis gewesen, der sie, hinter dem steinernen Tor verborgen, in den Abgrund stieß.
Perlis’ Wohnung lag in Belgravia, einem Viertel im Westen von London zwischen Mayfair und Knightsbridge. Die Wohnung befand sich in einem Haus im georgianischen Stil. Das strahlend weiße Gebäude hatte eine großzügige Terrasse, von der man auf einen von Bäumen gesäumten Platz hinausblickte. Es gab in Belgravia jede Menge weiße georgianische Reihenhäuser, Botschaftsgebäude und noble Hotels – kurz gesagt, es war ein Viertel, durch das man gern spazierte.
Das Schloss an der Haustür stellte kein Problem dar, das an Perlis’ Wohnungstür im ersten Stock genauso wenig. Bourne trat in ein großzügiges Wohnzimmer, das ansprechend und modisch eingerichtet war, wahrscheinlich nicht von Perlis selbst, der für solche Dinge wohl keine Zeit hatte. Trotz des Sonnenlichts, das durch die Fenster fiel, war die Luft kalt und stickig; es war offensichtlich, dass länger niemand mehr hier gewesen war. Bourne spürte ein leichtes Vibrieren, so als wäre ein winziger Überrest von Perlis’ letzter Anwesenheit in der Wohnung zurückgeblieben. Ein leiser Luftzug drang
durch die alten Fenster, und hier und dort regte sich ein wenig Staub im hereinfallenden Licht.
Die Wohnung strahlte etwas betont Männliches aus mit dem whiskyfarbenen Ledersofa und dem dunklen Holz, doch Bourne vermutete dennoch eine weibliche Hand in der Auswahl verschiedener Details, den Kerzenleuchtern aus Zinn mit den halb heruntergebrannten elfenbeinfarbenen Kerzen, den zart geschwungenen marokkanischen Lampen, den mexikanischen Küchenfliesen, die so bunt waren wie das Federkleid eines tropischen Vogels. Doch es war das Badezimmer mit seinen Retro-Fliesen in Pink und Schwarz, das eindeutig die Handschrift einer Frau verriet. Da er nun schon einmal hier war, sah er im Spülkasten nach, ob Perlis zufällig etwas in diesem beliebten Versteck deponiert hatte.
Er fand nichts und ging weiter in Perlis’ Schlafzimmer, das ihn am meisten interessierte. Im Schlafzimmer versteckten die Leute – auch Profis, die, wie Perlis, sehr auf Sicherheit bedacht waren – oft ihre persönlichsten Dinge.
Er begann mit dem Wandschrank mit seinen schwarzen und dunkelblauen Hosen und Jacketts – Anzüge waren keine dabei –, die alle nach der neuesten Mode geschnitten waren. Offensichtlich hatte jemand für Perlis eingekauft. Er zog die Kleider zur Seite und klopfte gegen die Rückwand und die Seitenwände, auf der Suche nach eventuellen Hohlräumen, doch er fand nichts. Dann hob er die Schuhe ein Paar nach dem anderen hoch, um den Boden nach einem Versteck abzusuchen. Als Nächstes überprüfte er die Schubladen der Kommode, ob Perlis vielleicht etwas unten an den Boden geklebt
hatte. Ganz hinten in der untersten Schublade fand er eine Glock-Pistole. Da sie gut geölt und geladen war, steckte er sie ein.
Schließlich kam er zum Bett. Er zog die Matratze beiseite, um die Boxspring-Unterfederung nach irgendwelchen Unterlagen, Fotos und Speichersticks abzusuchen, oder nach einem Geheimfach, wo solche Dinge versteckt sein konnten. Es war fast lächerlich, heute noch etwas unter der Matratze zu verstecken, aber gerade deshalb machten es viele. Der Mensch ist nun einmal ein Gewohnheitstier. Bourne hob die Unterfederung vom Metallrahmen, damit er sie umdrehen konnte, doch er fand auch hier nichts Ungewöhnliches. Er legte Boxspring und Matratze an ihren Platz zurück, setzte sich auf die Bettkante und betrachtete die sieben gerahmten Fotos auf der Kommode. Sie waren so aufgestellt, dass sie wahrscheinlich das Letzte waren, was Perlis sah, wenn er zu Bett ging, und das Erste, wenn er morgens aufwachte.
Perlis war auf allen Fotos außer einem zu sehen. Er war mit Holly Marie Moreau durch den Hyde Park spaziert, wo sie sich mit einem Soapbox-Redner im Speakers’ Corner fotografieren ließen. Auf einem anderen Bild, das sie wohl mit dem Selbstauslöser aufgenommen hatten, saßen sie in einem Boot, möglicherweise auf der Themse. Holly lachte, vielleicht über etwas, was Noah gesagt hatte. Sie wirkte fröhlich und entspannt, was Bourne äußerst befremdlich fand, jetzt wo er wusste, was Perlis ihr am Ende angetan hatte.
Das dritte Foto zeigte Noah mit einem gut aussehenden jungen Mann in einem modischen Dreiteiler. Er hatte eine
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