Das Bourne Duell
heraus und schlug es auf. Es schien eine Art Tagebuch zu sein oder eine chronologische Schilderung bestimmter Ereignisse, die offenbar von verschiedenen Quellen stammte. Bourne kam zu den ersten Namen und spürte, wie sich ihm die Haare an den Armen aufstellten. Unwillkürlich sah er sich in der Nische um, doch da war niemand außer ihm. Und doch spürte er eine rastlose Energie, als die Geister und Kobolde aus Perlis’ sehr persönlichen Notizen hervortraten und sich um ihn scharten wie ausgehungerte Hunde.
Leonid Arkadin, Wjatscheslaw Germanowitsch Oserow – oder Slava, wie Perlis ihn nannte – und Tracy Atherton. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn, als er zu lesen begann.
Feuchter Sand und Salzwasser quollen zwischen seinen Zehen hindurch, während Arkadin den Mädchen in winzigen Bikinis und den dünnen Burschen in langen Surfershorts zusah, wie sie Volleyball spielten oder den Strand hinauf und hinunter liefen, mit Bierdosen in den Händen.
Arkadin schäumte vor Wut darüber, dass ihn Maslow und Oserow so in die Enge getrieben hatten. Es war bestimmt Oserow, der Maslow überzeugt hatte, ihn zu jagen. Ein solcher Frontalangriff war normalerweise nicht Maslows Stil; dafür war er zu vorsichtig, vor allem in Zeiten, die für ihn und die Kazanskaja so gefährlich waren. Die Regierungsbehörden waren ihm auf den Fersen und warteten nur darauf, dass er einen Fehler machte. Bis jetzt war es ihm gelungen – nicht zuletzt dank seiner einflussreichen Freunde –, seinen Verfolgern immer einen Schritt voraus zu sein. Niemand von den Geheimdiensten oder der Staatsanwaltschaft hatte es bisher geschafft, eine wasserdichte Anklage gegen ihn zustande zu bringen. Maslow wusste genug über einige hohe Richter, um sich seine Feinde erfolgreich vom Leib zu halten.
Tief in seine finsteren Gedanken versunken war Arkadin ins Meer hinaus gewatet, bis ihm das Wasser über die Knie stieg und seine Hose durchnässte. Es war ihm egal; Mexiko bot ihm eine Freiheit, die er nie zuvor empfunden hatte. Vielleicht war es der langsamere Rhythmus oder dieser Lebensstil mit so einfachen Freuden wie angeln, den Sonnenuntergang betrachten, die halbe Nacht Tequila trinken und mit einer jungen Frau mit dunklen Augen tanzen, deren bunter Rock hochwirbelt, wenn sie sich um einen dreht. Geld – oder zumindest die Summen, die er gewohnt war – spielte hier keine Rolle. Die Leute führten ein einfaches Leben und waren zufrieden.
In diesem Augenblick sah er sie – oder glaubte sie aus der Brandung kommen zu sehen wie Venus aus ihrer Muschel. Die rote Sonne leuchtete ihm entgegen, und
er kniff die Augen zusammen und schirmte sie mit einer Hand ab, überzeugt, dass es Tracy Atherton war, die da aus dem Wasser kam: groß und schlank, blond und blauäugig und mit dem breitesten Lächeln, das er je gesehen hatte. Und doch konnte es nicht Tracy sein, weil sie tot war.
Fasziniert betrachtete er sie, während sie in seine Richtung ging. Da wandte sie sich direkt ihm zu und sah ihn an, und die Ähnlichkeit löste sich auf. Er blickte zur Seite, in die untergehende Sonne.
Arkadin hatte Tracy in St. Petersburg kennengelernt, in der Eremitage. Es war in seinem zweiten Jahr in Moskau, wo er für Maslow arbeitete. Sie war dort, um sich die Kunstschätze anzusehen, während er nur wegen eines lästigen Treffens mit Oserow gekommen war. Arkadin hatte den Mann von Anfang an gehasst – seit er damals in Nischni Tagil einen sechsjährigen Jungen kaltblütig ermordet hatte. Wegen dieses feigen Verbrechens hatte er Oserows Gesicht zu Brei geschlagen und ihm die Schulter ausgekugelt. Er hätte ihn umgebracht, wenn sein Freund Tarkanian nicht eingeschritten wäre. Seit diesem Vorfall war der Hass zwischen den beiden Männern stetig gewachsen, bis zu dem jüngsten Zusammenstoß in Bangalore. Doch Oserow war nicht so leicht umzubringen, wie ein Vampir, dachte Arkadin und lachte über den Vergleich. Das nächste Mal würde er ihm einen Pfahl ins Herz rammen. Dass Dimitri Maslow sie auch noch gezwungen hatte zusammenzuarbeiten, war ein bewusster sadistischer Akt, für den Maslow eines Tages bezahlen würde.
An jenem eiskalten Wintermorgen war er früh in
St. Petersburg angekommen, um sich zu vergewissern, dass Oserow ihm nicht irgendeine heimtückische Falle stellte. Im Museum begegnete ihm eine groß gewachsene schlanke Blondine mit großen kornblumenblauen Augen und einem strahlenden Lächeln, die ein Porträt der Zarin Elisabeth Petrowna
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