Das Bourne Duell
betrachtete. Die Frau trug einen knöchellangen Wildledermantel mit einem hohen himmelblau gefärbten Kragen, unter dem eine blutrote Seidenbluse hervorguckte. Ohne irgendein einleitendes Wort fragte sie ihn, was er von dem Bild halte.
Arkadin, der bis dahin noch nicht einmal einen flüchtigen Blick auf irgendein Gemälde oder einen anderen Kunstgegenstand in den weiten Räumen geworfen hatte, betrachtete das Porträt. »Das wurde 1758 gemalt«, sagte er. »Was soll ich heute darin sehen?«
Die Blondine drehte sich um und betrachtete ihn mit der gleichen entwaffnenden Aufmerksamkeit, die sie zuvor dem Porträt gewidmet hatte. »Das ist die Geschichte Ihres Landes.« Sie zeigte mit ihrer schlanken feingliedrigen Hand auf das Gemälde. »Louis Tocqué, der Mann, der es gemalt hat, war einer der führenden Künstler seiner Zeit. Er machte die weite Reise von Paris nach Russland, weil Elisabeth Petrowna unbedingt von ihm porträtiert werden wollte.«
»Na und?«, gab Arkadin zurück; er hatte von alldem keine Ahnung.
Das Lächeln der Frau wurde noch breiter. »Es zeigt den Status, den Russland damals in der Welt hatte, dass er sofort kam. Dieses Bild sollte alle Russen stolz machen.«
Arkadin wollte schon eine scharfe Bemerkung machen,
doch er beherrschte sich und wandte seinen Blick wieder der majestätischen Frau auf dem Gemälde zu.
»Sie ist schön, nicht?«, bemerkte die blonde Unbekannte.
»Also, ich habe noch nie jemanden getroffen, der auch nur so ähnlich aussieht. Sie kommt mir irgendwie unwirklich vor.«
»Und doch hat es sie wirklich gegeben.« Die blonde Frau machte eine Geste, wie um seinen Blick zurück zu der Zarin zu lenken. »Stellen Sie sich vor, Sie hätten damals gelebt und würden neben ihr stehen.«
Plötzlich war es ihm, als würde er die Zarin zum ersten Mal wirklich sehen, vielleicht mit den Augen der blonden Museumsbesucherin. »Ja«, hörte er sich selbst sagen, »ich glaube, sie ist wirklich schön.«
»Ah, dann hat es sich schon gelohnt, dass ich hierhergekommen bin«, sagte sie, immer noch mit dem gleichen strahlenden Lächeln. Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Übrigens, ich bin Tracy Atherton.«
Einen Moment lang dachte Arkadin daran, einen falschen Namen zu nennen, was er fast routinemäßig tat. Stattdessen sagte er: »Leonid Danilowitsch Arkadin.«
Plötzlich schien ein Hauch von lebendiger Geschichte in der Luft zu liegen, wie ein Duft von Rosen und Zedern. Erst viel später wurde ihm bewusst, was ihn zu ihr hinzog, auch wenn er sich neben ihr wie ein Student fühlte, der zu dumm oder zu faul war, um etwas zu lernen. In ihrer Gegenwart wurde ihm schmerzlich bewusst, wie wenig er wusste. Und doch hatte er schon damals gespürt, dass er von ihr profitieren konnte. Er lernte von ihr den Wert des Wissens, doch insgeheim konnte er ihr nicht verzeihen, dass sie bei ihm ein Gefühl
der Minderwertigkeit auslöste. Er benutzte sie rücksichtslos und behandelte sie grausam, während er sie immer enger an sich band.
So klar erkannte er das aber erst viel später. Damals im Museum war da eine plötzliche Wut in ihm, und er drehte sich, ohne ein Wort zu sagen, um und ging weg, um Oserow zu suchen, dessen Gesellschaft ihm in diesem Moment lieber war als die ihre.
Als er Oserow traf, hatte er es plötzlich eilig, das Museum zu verlassen, wo ihn alles an diese Frau erinnerte, und so bestand er darauf, das Gespräch an einen anderen Ort zu verlegen. Sie gingen auf die Millionaja-Straße hinaus, wo er ein Café fand, bevor ihre Lippen in dem eisigen Wind aufsprangen.
Der Schnee fiel mit einem seltsamen trockenen Rascheln, wie von einem Raubtier, das sich im Unterholz anschlich, und Arkadin würde nie vergessen, wie Tracy Atherton plötzlich auftauchte. Ihr Wildledermantel umspielte ihre Füße wie die Wellen der Meeresbrandung.
In dieser Zeit, kurz nachdem Dimitri Maslow Oserow und Mischa Tarkanian nach Nischni Tagil geschickt hatte, um ihn vor seinen Verfolgern zu retten, war Oserow sein Vorgesetzter, eine Tatsache, die er Arkadin in jedem Augenblick spüren ließ. Oserow hielt ihm gerade einen Vortrag, wie man einen Politiker tötete, was der Zweck ihrer Reise nach St. Petersburg war. Der betreffende Politiker hatte den schweren Fehler begangen, sich mit Maslow anzulegen, und musste deshalb so schnell und effizient wie möglich ausgeschaltet werden. Arkadin wusste das, und Oserow wusste, dass er es wusste. Dennoch ließ es sich der Scheißkerl nicht nehmen,
ihn zu belehren und ihm
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