Das Bourne Imperium
Männer traten zögernd auf sie zu, während andere sich verzweifelt nach der Polizei umsahen oder nach ihr riefen.
»Bitte, Mistress!«, rief der Asiate, bemüht, seine Stimme nicht zu laut werden zu lassen. »Es geschieht Ihnen nichts. Erlauben Sie, dass ich Sie zu meinem Wagen begleite. Es ist zu Ihrem eigenen Schutz.«
»Helfen Sie mir doch!«, kreischte Marie, während die Passanten sich rings um sie sammelten. »Dieser Mann ist ein Dieb ! Er hat meine Handtasche gestohlen, mein Geld! Jetzt versucht er, mir meinen Schmuck wegzunehmen!«
»Jetzt hören Sie mal, Mann!«, schrie ein älterer Engländer, humpelte auf sie zu und hob den Spazierstock. »Ich habe jemanden nach der Polizei geschickt, aber bis die da sind, werde ich Sie, bei Gott, selbst verprügeln !«
»Bitte, Sir«, beharrte der Mann von MI-6 mit leiser Stimme. »Das ist Angelegenheit der Behörden, und ich gehöre zu den Behörden. Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen meinen Ausweis zeige.«
»Ganz ruhig, Kumpel!«, brüllte eine Stimme, der man den Australier anhörte, und ein Mann sprang vor und schob den alten Engländer sacht beiseite. »Sie haben Mumm, alter Knacker, aber sparen Sie sich die Mühe! Mit diesen Gangstern
wird ein Jüngerer besser fertig.« Jetzt stand der breitschultrige Australier vor dem chinesischen Agenten. »Nehmen Sie die Pfoten von der Dame, und zwar ein bisschen fix, wenn’s recht ist.«
»Bitte, Sir, hier liegt ein Missverständnis vor. Die Dame ist in Gefahr, und die Behörden möchten sie verhören.«
»Ich seh aber keine Uniform!«
»Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen meine Papiere zeige.«
»Genau das hat er vor einer Stunde auch gesagt, als er mich an der Garden Road angriff«, schrie Marie hysterisch. »Da wollten mir die Leute auch helfen! Er hat alle angelogen! Und dann hat er mir die Handtasche gestohlen! Er hat mich verfolgt !« Marie wusste, dass nichts von dem, was sie hinausschrie, einen Sinn ergab. Sie konnte nur auf die Verwirrung hoffen, so wie Jason es sie gelehrt hatte.
»Ich sag’s nicht noch mal , Kumpel«, schrie der Australier und trat einen weiteren Schritt vor. »Sie sollen Ihre Pfoten von der Lady nehmen!«
»Bitte, Sir, das geht nicht. Es sind bereits andere Beamte unterwegs.«
»Oh, sind sie das, wie? Ihr Gangster arbeitet in Banden, wie? Na, wenn die herkommen, werden sie Sie nicht mehr wiedererkennen!« Der Australier packte den Asiaten an der Schulter und riss ihn nach links herum, aber als der Mann von MI-6 sich um die eigene Achse drehte, fuhr sein rechter Fuß – mit ausgestreckter Schuhspitze, wie ein Messer – herum und bohrte sich dem Australier in den Leib. Der barmherzige Samariter aus dem fünften Erdteil klappte zusammen und fiel auf die Knie.
»Ich bitte Sie noch einmal, Sir, behindern Sie mich nicht!«
»So, das bittest du mich also! Du schlitzäugiges Arschloch !« Der wütende Australier sprang auf, warf sich auf den Asiaten, und seine Fäuste trommelten auf den Mann von MI-6 ein. Die Menge brüllte Beifall – und plötzlich war Maries Arm frei ! Dann mischten sich andere Geräusche in den Lärm. Sirenen, drei heranrasende Autos, darunter ein Notarztwagen. Jetzt kamen sie alle drei mit quietschenden Reifen zum Stillstand.
Marie bahnte sich ihren Weg durch die Menge, jetzt hatte sie das Pflaster erreicht, rannte auf die rote Tafel zu, die noch einen halben Häuserblock von ihr entfernt war. Die Schuhe waren ihr von den Füßen gefallen; die angeschwollenen, aufgerissenen Blasen brannten und schmerzten höllisch, aber jetzt war nicht die Zeit, an Schmerz zu denken. Sie musste rennen, rennen, entkommen ! Und dann übertönte die dröhnende Stimme den Lärm der Straße, und sie sah vor ihrem geistigen Auge das Bild eines hünenhaften Mannes. Das war der riesige Chinese, den sie den Major nannten.
»Mrs. Webb ! Mrs. Webb, ich flehe Sie an! Bleiben Sie stehen! Wir wollen Ihnen nichts zuleide tun! Man wird Ihnen alles erklären! Aber bleiben Sie um Gottes willen stehen!«
Lauter Lügen, dachte Marie, Lügen würden sie ihr auftischen und noch mehr Lügen! Plötzlich rannten Leute auf sie zu. Was machten die? Warum … ? Und dann rasten sie an ihr vorbei, größtenteils Männer, aber nicht nur Männer, und sie begriff. Auf der Straße war Panik ausgebrochen – vielleicht ein Unfall, Verletzte, Tote. Das wollen wir sehen. Zusehen! Aus der Ferne natürlich.
Gelegenheiten werden sich anbieten. Du musst sie erkennen, sie nutzen.
Und Marie fuhr plötzlich herum,
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