Das Bourne Imperium
den knielangen Hosen und der Schärpe eines Lehrers der Kriegskunst verfolgte ihn. Jetzt sprang der junge Amerikaner auf, und als sein asiatischer Widersacher ihn angriff, hieb er dem jungen Mann einen kurzen linken Haken in die Nieren und setzte mit einem wohlgezielten rechten Schwinger nach, der den Asiaten ins Gesicht traf, trieb seinen Gegner in den Laden zurück, dabei die ganze Zeit vor Schmerz schreiend, weil er mit den verbrühten Händen zugeschlagen hatte.
Ein letzter Ledernacken vom Victoria Peak kam jetzt die Straße heruntergerannt – auf einem Bein humpelnd, die Schultern nach vorne gezogen, als hätte er sie sich bei einem Sturz verletzt; einem Sturz über eine Treppe, dachte Marie, während sie erstaunt nach draußen blickte. Jetzt kam er seinem schreienden Kameraden zu Hilfe und erwies sich als sehr kampfstark. Die amateurhaften Nahkampfversuche der Studenten des bewusstlosen Kriegskunstlehrers sahen sich jetzt einem Wirbel von Beinen und Handkantenschlägen eines Karateexperten gegenüber.
Und dann schwoll plötzlich auf der Straße ohne jede Warnung asiatische Musik an; der Klang der Zimbeln und der primitiven Holzinstrumente hallte von den Wänden und wurde mit jedem Schritt der zusammengewürfelten Musikantenschar lauter, die jetzt die Straße heruntermarschierte, hinter ihnen Menschen, die blumenumkränzte Spruchbänder trugen. Der Kampf hörte auf, und Schweigen legte sich über die Hauptstraße von Tuen Mun. Die Amerikaner waren verwirrt; Catherine Staples schluckte
ihre Enttäuschung hinunter und Edward McAllister rang verzweifelt die Hände.
Marie sah zu, von der Veränderung, die sich draußen vollzog, buchstäblich hypnotisiert. Alles kam zum Stillstand, als hätte irgendein höheres Wesen Einhalt geboten. Sie trat etwas zur Seite, um besser durch die Bambusjalousie sehen zu können, und musterte die sich nähernde Gruppe. Sie wurde von dem Bankangestellten Jitai angeführt und sie kam auf den Fleischerladen zu!
Jetzt sah Marie, wie Catherine Staples und McAllister an der seltsamen Versammlung vor dem Laden vorbeirannten. Dann nahmen auf der anderen Straßenseite die beiden Ledernacken die Verfolgung wieder auf. Alle verschwanden im blendenden Sonnenlicht.
Ein Klopfen ertönte an der vorderen Tür des Fleischerladens. Der alte weißhaarige Mann entfernte den Kranz und öffnete.
Jitai trat ein und verbeugte sich vor Marie.
»Hat Ihnen die Parade gefallen, Madame?«, fragte er.
»Ich weiß nicht, was das war.«
»Ein Begräbnismarsch für die Toten. In diesem Fall ohne Zweifel für die toten Tiere in Mr. Wus Eiskammer.«
»Sie …? Das war alles geplant ?«
»In Bereitschaft, könnte man sagen«, erklärte Jitai. »Unsere Vettern aus dem Norden schaffen es oft, über die Grenze zu gelangen – nicht die Diebe, sondern Familienangehörige, die zu den ihren wollen –, und die Soldaten wollen sie nur einfangen und sie zurückschicken. Wir müssen darauf vorbereitet sein, die Unseren zu schützen.«
»Aber ich …? Sie wussten …«
»Wir haben beobachtet; wir haben gewartet. Sie hatten sich versteckt, waren vor jemandem auf der Flucht. So viel wussten wir. Das haben Sie uns klar gemacht, als Sie sagten, Sie wollten nicht zum Magistrat gehen, um Anklage zu erheben. Man hat Sie in die Gasse draußen gewiesen.«
»Die Frauen mit den Einkaufstaschen …«
»Ja. Sie haben die Straße mit Ihnen überquert. Wir müssen Ihnen helfen.«
Marie blickte auf die besorgten Gesichter der Menschenschar vor der Bambusjalousie hinaus und sah dann den Bankier an. »Woher wissen Sie denn, dass ich keine Kriminelle bin?«
»Das ist unwichtig. Wichtig ist die empörende Untat von unseren Leuten an Ihnen. Außerdem, Madame, Sie sehen weder aus noch sprechen Sie wie jemand, der vor der Gerechtigkeit flieht.«
»Das tue ich auch nicht. Und ich brauche wirklich Hilfe. Ich muss nach Hongkong zurück, in ein Hotel, wo man mich nicht finden kann, wo es ein Telefon gibt, das ich benutzen kann. Ich muss Leute erreichen, die mir helfen können … uns helfen können, ich weiß nur nicht, wen.« Marie hielt inne, und ihre Augen bohrten sich in die Jitais. »Der Mann namens David ist mein Mann.«
»Das kann ich verstehen«, sagte der Bankier. »Aber zuerst müssen Sie zu einem Arzt.«
»Was?«
»Ihre Füße bluten.«
Marie sah an sich herab. Blut war durch den Verband gequollen und hatte den Segeltuchstoff ihrer Schuhe rot gefärbt. Bei dem Anblick wurde ihr übel. »Wahrscheinlich haben Sie
Weitere Kostenlose Bücher