Das Bourne-Vermächtnis
einen aschblonden Mann mit militärisch kurzem Haarschnitt, schmaler langer Nase und eng zusammenstehenden, blauen Augen, die seinem Gesicht einen ständig misstrauischen Ausdruck verliehen. Er hatte breite Schultern und einen muskulösen Oberkörper, den er etwas zu sehr betonte. Er saß auf einem Hightech-Drehstuhl, dessen Rückenlehne aus einer Lochplatte bestand, hinter einem Schreibtisch aus Edelstahl und Rauchglas. Genau in der Mitte der weißen Metallwände seines Büros hing je eine Reproduktion eines Gemäldes von Mark Rothko, auf denen farbige Mullbinden eine blutende Wunde zu bedecken schienen.
»Deputy Director, welch unerwartetes Vergnügen«,
begrüßte Driver ihn mit verkrampftem Lächeln, das seine Worte widerlegte. »Ich gestehe allerdings, dass ich unangekündigte Inspektionen nicht gewöhnt bin. Mir wär’s lieber gewesen, Sie hätten sich höflicherweise angemeldet.«
»Entschuldigung«, sagte Lindros, »aber dies ist keine unangekündigte Inspektion. Ich ermittle in einer Mordsache.«
»Der Mordsache Alexander Conklin, nehme ich an.«
»Ganz recht. Ich muss einen Ihrer Leute befragen. Einen Dr. Felix Schiffer.«
Es war, als hätte Lindros eine Lähmbombe gezündet.
Drivers verkrampftes Lächeln wurde zu einer Grimasse, und er saß wie erstarrt hinter seinem Schreibtisch. Zuletzt schien er seine Fassung wiederzugewinnen. »Weshalb um Himmels willen?«
»Das habe ich Ihnen gerade gesagt«, antwortete
Lindros. »Im Rahmen unserer laufenden Ermittlungen.«
Driver breitete die Hände aus. »Ich sehe da keinen Zusammenhang.«
»Das ist auch nicht notwendig«, sagte Lindros knapp.
Driver hatte ihn wie einen Schuljungen im Karzer
schmoren lassen, und jetzt wurde er verbal hingehalten.
Lindros verlor allmählich die Geduld. »Sie brauchen mir nur zu sagen, wo Dr. Schiffer ist.«
Die Miene des anderen wurde noch verschlossener.
»Als Sie über meine Schwelle getreten sind, haben Sie mein Revier betreten.« Driver stand auf. »Während Sie identifiziert wurden, habe ich mir erlaubt, den CIA
Direktor anzurufen. Sein Büro hat keine Ahnung, welchen Zweck Ihr Besuch bei mir haben könnte.«
»Natürlich nicht«, erwiderte Lindros, der wusste, dass er die Schlacht verloren hatte. »Ich erstatte dem Direktor immer erst abends Bericht.«
»Ich habe absolut kein Interesse an Ihren Ermittlungen, Deputy Director. Das Fazit lautet, dass niemand meine Mitarbeiter ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung des CIA-Direktors befragt.«
»Der Direktor hat mir freie Hand gegeben, die Ermittlungen nach meinem Ermessen zu führen.«
»Aber das weiß ich nur von Ihnen.« Driver zuckte mit den Schultern. »Sie verstehen sicher, dass …«
»Nein, das verstehe ich nicht «, unterbrach Lindros ihn.
Er wusste, dass es nichts nützen würde, in dieser Art weiterzumachen. Noch schlimmer: Es war taktisch unklug, aber er war so sauer auf Randy Driver, dass er nicht anders konnte. »Meiner Ansicht nach sind Sie halsstarrig und betreiben Obstruktion.«
Driver beugte sich nach vorn, seine Fingerknöchel knackten, als er beide Hände auf die Schreibtischplatte stützte. »Ihre Ansicht tut nichts zur Sache. Da Sie keine schriftliche Einwilligung vorlegen können, habe ich nichts mehr zu sagen. Das Gespräch ist beendet.«
Der Schlips musste sie belauscht haben, denn in diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und er stand auf der Schwelle, um Lindros hinauszubegleiten.
Den Geistesblitz hatte Detective Harris bei der Verfolgung eines Straftäters. Über Funk war eine Fahndungsmeldung eingegangen: Gesucht wurde ein Weißer in einem schwarzen Pontiac GTO – neuestes Modell, in Virginia zugelassen –, der außerhalb von Falls Church eine rote Ampel missachtet hatte und auf der Route 649 nach Süden weitergefahren war. Harris, den Martin Lindros unerklärlicherweise von den Ermittlungen in der Mordsache Conklin-Panov ausgeschlossen hatte, war in Sleepy Hollow, um abschließende Ermittlungen wegen eines Raubmords in einem kleinen Supermarkt zu führen. So war er zufällig auf der 649.
Er wendete mit seinem Streifenwagen mit quietschenden Reifen, schaltete Blaulicht und Sirene ein und raste auf der 649 nach Norden. Wenige Minuten später entdeckte er den schwarzen GTO, den bereits drei Streifenwagen der Virginia State Police verfolgten.
Von einem Hupkonzert und Reifenquietschen begleitet fuhr Detective Harris über den Mittelstreifen und hielt genau auf den GTO zu. Sein Fahrer sah ihn kommen und wechselte die
Weitere Kostenlose Bücher