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Das Bourne-Vermächtnis

Das Bourne-Vermächtnis

Titel: Das Bourne-Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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sich nach vorn und sah sofort unmittelbar unter sich die beiden Erkerfenster im dritten Stock. Er kletterte über die Brüstung und ließ sich auf den Sims unterhalb der Fenster gleiten. Das erste Fenster war von innen verriegelt, aber das zweite war nur angelehnt. Er stieß es auf, schwang sich über die Fensterbank in die Wohnung.
    Natürlich hätte er sich hier gern umgesehen, aber weil er nicht wusste, wann die beiden zurückkommen würden, durfte er das nicht riskieren. Er war nicht zum Vergnügen, sondern gewissermaßen dienstlich hier. Als er sich nach einem geeigneten Ort umsah, fiel sein Blick auf die Milchglasschale der Deckenlampe in der Mitte des Wohnzimmers. Dieses Versteck war so gut wie jedes andere, entschied er rasch, und besser als die meisten.
    Er zog die Klavierbank heran, stellte sie unter die Lampe und stieg hinauf. Die winzige Wanze in seiner Hand ließ er in die Milchglasschale gleiten. Dann stieg er wieder herunter, steckte sich einen elektronischen Ohrhörer ins Ohr und aktivierte die Wanze.
    Er hörte kleine Geräusche, als er die Klavierbank wieder vor den Flügel schob, und die eigenen Schritte, als er übers Parkett zu dem Sofa ging, auf dem eine Daunendecke und ein Kopfkissen lagen. Er griff nach dem Kissen, schnüffelte an seiner Mitte. Er roch Bourne, aber dieser Geruch rief bisher schlummernde Erinnerungen wach. Als sie in seinem Gedächtnis aufzusteigen begannen, ließ er das Kissen hastig fallen, als sei es in Brand geraten. Dann verließ er das Apartment rasch auf dem Weg, auf dem er hereingekommen war, und ging die Treppe hinunter.
    Diesmal durchquerte er den Eingangsbereich jedoch und verließ das Haus durch den Lieferanteneingang.
    Man konnte nie vorsichtig genug sein.
    Annaka machte sich über ihr Frühstück her, das in diesem Café auch nachmittags serviert wurde. Das durchs Fenster einfallende Sonnenlicht beleuchtete ihre Pianistenfinger. Sie aß, wie sie spielte, handhabte Messer und Gabel wie Musikinstrumente.
    »Wo hast du so Klavier spielen gelernt?«
    »Hat’s dir gefallen?«
    »Ja, sehr.«
    »Warum?«
    Er legte den Kopf schief. »Warum?«
    Sie nickte. »Ja, warum hat dir mein Klavierspiel gefallen? Was hast du herausgehört?«
    Bourne überlegte kurz. »Eine gewisse Traurigkeit, denke ich.«
    Annaka legte Messer und Gabel weg, um die Hände
    frei zu haben, und begann einen Ausschnitt aus dem Nocturne zu singen. »Das liegt an den nicht aufgelösten Siebteln, weißt du. Mit ihnen hat Chopin die überlieferten Grenzen von Dissonanzen und Tonarten erweitert.«
    Sie sang halblaut weiter. »Das Ergebnis klingt aufgeschlossen. Und wegen dieser unaufgelösten dominanten Siebtel zugleich klagend.«
    Sie machte eine Pause. Ihre schönen weißen Hände
    ruhten auf dem Tisch wie auf einer Tastatur, die langen Finger waren leicht gekrümmt, als seien sie weiterhin von der Energie des Komponisten belebt.
    »Sonst noch etwas?«
    Er dachte darüber nach, dann schüttelte er den Kopf.
    Sie griff nach dem Besteck und aß weiter. »Klavier spielen habe ich von meiner Mutter gelernt. Das war ihr Beruf, Klavierlehrerin, und als sie das Gefühl hatte, ich sei reif dafür, hat sie mich an Chopin herangeführt. Er war ihr Lieblingskomponist, aber seine Musik ist unglaublich schwer zu spielen – nicht nur technisch, sondern auch, weil man die jeweilige Stimmung genau treffen muss.«
    »Spielt deine Mutter noch?«
    Annaka schüttelte den Kopf. »Ihre Gesundheit war
    wie die Chopins schwach. Tuberkulose. Sie ist gestorben, als ich achtzehn war.«
    »Ein schlimmes Alter, um einen Elternteil zu verlieren.«
    »Ihr Tod hat mein Leben verändert. Ich war natürlich untröstlich, aber zu meiner Verblüffung war ich unterschwellig auf sie zornig, wofür ich mich geschämt habe.«
    »Zornig?«
    Sie nickte. »Ich habe mich verlassen gefühlt, auf hoher See treibend, ohne Möglichkeit, wieder heimzufinden.«
    Bourne begriff plötzlich, weshalb sie sich in die schwierige Lage eines Mannes mit Gedächtnisverlust hatte versetzen können.
    Sie runzelte die Stirn. »Aber am meisten bedaure ich, wie schäbig ich sie behandelt habe. Als sie mich aufgefordert hat, Klavier spielen zu lernen, habe ich mich mit Händen und Füßen dagegen gesträubt.«
    »Natürlich hast du das getan«, sagte er mild. »Das war ihre Idee. Außerdem war’s ihr Beruf.« Er empfand einen kleinen Schauder, als habe sie gerade eine von Chopins berühmten Dissonanzen gespielt. »Als ich mit meinem Sohn über Baseball gesprochen

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