Das Bourne-Vermächtnis
brennendem Gummi und Kunststoff mischte.
Er sprang aus dem Wagen, kurz bevor der Jeep aufschlug, und rollte sich seitlich weg, als der Wagen von einem Felsvorsprung abprallte und zerplatzte. Flammen schossen hoch in die Luft, und im Feuerschein sah Bourne in der kleinen Bucht unmittelbar unter sich ein Fischerboot, das langsam auf den Strand zulief.
Spalko raste wie ein Verrückter die Straße hinunter, die am Strand der kleinen Bucht endete. Mit einem Blick auf den über ihm in Flammen stehenden Jeep sagte er sich: Zum Teufel mit Jason Bourne. Er ist tot. Aber leider würde er ihn nicht so schnell vergessen. Es war Bourne gewesen, der seine Pläne durchkreuzt hatte, und nun hatte er weder den NX 20 noch die Tschetschenen als Handlanger. So viele Monate sorgfältiger Planung zunichte gemacht!
Er stieg aus dem Wagen und stapfte über den mit
Treibgut übersäten felsigen Strand. Ein Ruderboot kam, um ihn abzuholen, obwohl Flut herrschte und das Fischerboot sehr dicht an den Strand heranlaufen konnte.
Er hatte den Skipper angerufen, sobald er den Kontrollposten vor dem Hotel passiert hatte. Diesmal war nur eine aus dem Skipper und seinem Maat bestehende Mindestbesatzung an Bord. Sobald der Skipper das Ruderboot auflaufen ließ, kletterte Spalko hinein, und der Maat stieß das Boot mit seinem Riemen ab.
Spalko kochte vor Wut, und auf der kurzen, wenig
angenehmen Rückfahrt zum Fischerboot wurde kein
Wort gesprochen. Sowie Spalko an Bord war, befahl er:
»Klarmachen zum Auslaufen, Captain.«
»Bitte um Entschuldigung, Sir«, sagte der Skipper, »aber was ist mit dem Rest des Teams?«
Spalko packte ihn vorn am Hemd. »Ich habe Ihnen
einen Befehl gegeben, Captain. Ich erwarte, dass Sie ihn ausführen.«
»Aye, aye, Sir«, knurrte der Skipper mit bösem Glitzern im Blick. »Aber wir sind nur zu zweit, deshalb wird’s etwas länger dauern, bis wir Fahrt aufnehmen.«
»Dann macht gefälligst voran, verdammt noch mal!«, forderte Spalko ihn auf, bevor er nach unten ging.
Das Wasser war kalt wie Eis, schwarz wie der unbeleuchtete Keller des Hotels. Bourne wusste, dass er so schnell wie irgend möglich an Bord des Fischerboots gelangen musste. Schon nach einer halben Minute im Wasser fingen seine Finger und Zehen an, taub zu werden; nach einer weiteren halben Minute spürte er sie überhaupt nicht mehr.
Die zwei Minuten, die er brauchte, um zu dem Fischerboot hinauszuschwimmen, erschienen ihm wie die längsten seines Lebens. Er bekam eine ölige Trosse zu fassen und zog sich daran aus der See. Er zitterte im kalten Wind, während er Hand über Hand nach oben kletterte.
Dabei war er plötzlich auf unheimliche Weise desorientiert. Weil er Seeluft in der Nase hatte und Salzwasser auf seiner Haut spürte, erschien es ihm, als sei er nicht vor Island, als klettere er nicht an Bord eines Fischerboots, um Spalko zu verfolgen, sondern entere vor Marseille heimlich eine Jacht, um den international gesuchten Profikiller Carlos zu liquidieren. In Marseille hatte der Albtraum begonnen: Sein Zweikampf mit Carlos
hatte damit geendet, dass er über Bord gestoßen worden war, wobei der Schock darüber, dass er mit Schussverletzungen fast ertrunken war, ihm sein Gedächtnis und sein ganzes früheres Leben geraubt hatte.
Als er sich über den Dollbord ans Oberdeck des Fischerboots wälzte, durchzuckte ihn Angst, die in ihrer Intensität fast lähmend war. In genau dieser Situation hatte er damals versagt. Er fühlte sich plötzlich exponiert, als stehe ihm sein Versagen auf die Stirn geschrieben. Fast hätte ihn der Mut verlassen, aber vor seinem inneren Auge erschien das Bild Chans, und er erinnerte sich daran, was er ihn bei ihrer ersten mit nervöser Spannung erfüllten Begegnung gefragt hatte: »Wer bist du?« Jetzt wurde ihm klar, dass Chan das nicht wusste – und es nie erfahren würde, wenn Bourne es ihm nicht sagte. Er dachte an Chan, sah ihn in der Fernwärmezentrale neben Sina knien und hatte das Gefühl, er habe nicht nur die Kalaschnikow weggelegt, sondern vielleicht auch einen Teil seiner inneren Wut überwunden.
Bourne atmete tief durch und konzentrierte sich auf das, was ihm bevorstand. Er schlich übers Deck. Der Skipper und sein Maat waren im Steuerhaus beschäftigt, und es fiel ihm nicht schwer, sie beide außer Gefecht zu setzen. Taue gab es hier mehr als genug, und er war gerade dabei, den Bewusstlosen die Hände auf dem Rücken zu fesseln, als Spalko hinter ihm sagte: »Ich denke, Sie sollten lieber ein
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