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Das Bourne-Vermächtnis

Das Bourne-Vermächtnis

Titel: Das Bourne-Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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nicht mehr bewegen. Er saß fest. Bourne atmete aus, ließ seinen Oberkörper schlaff werden. Er stieß sich mit den Füßen ab. Eine Kiste verrutschte, aber er war ein Stück vorangekommen. Er ließ die Beine sinken, bis seine Füße erneut Halt gefunden hatte, stemmte die Absätze ein, drückte nochmals und bewegte sich wieder. Beharrlich wiederholte er dieses Manöver und gelangte endlich mit Armen, Kopf und Schultern ins Freie. Er sah blinzelnd zu dem rosaroten Morgenhimmel auf, an dem Wattebauschwölkchen ihre Form veränderten, während er unter ihnen hindurchfuhr. Er griff nach oben, bekam die Dachkante des Trailers zu fassen, zog sich aus dem Laderaum und lag nun ausgestreckt auf dem Dach.
    An der nächsten roten Ampel sprang er zu Boden und rollte sich über eine Schulter ab, um den Aufprall abzumildern. Er kam wieder auf die Beine, erreichte den Gehsteig und klopfte seine Kleidung ab. Die Straße war menschenleer. Als der Sattelschlepper, in bläulichen Dieselqualm gehüllt, weiterrollte, schickte er dem ahnungslosen Guy einen knappen Gruß nach.
    Er befand sich in einem Außenbezirk von D.C. im
    armen Nordosten. Der Morgenhimmel wurde rasch heller, und die langen Schatten bei Tagesanbruch wichen vor der Sonne zurück. In der Ferne war Verkehrslärm zu hören, in den sich eine Polizeisirene mischte. Er atmete tief durch. Für ihn enthielt die Luft außer städtischem Gestank auch etwas Erfrischendes: das Hochgefühl von Freiheit nach einer langen Nacht, in der er darum gekämpft hatte, nicht entdeckt zu werden und frei zu bleiben.
    Er ging weiter, bis er das Flattern verblasster rot-weißblauer Fähnchen sah. Der Gebrauchtwagenhändler würde erst in einigen Stunden öffnen. Bourne betrat den verlassenen Verkaufsplatz, wählte das nächstbeste unauffällige Auto und vertauschte seine Kennzeichen mit denen des Wagens daneben. Er knackte das Türschloss, öffnete die Fahrertür und schloss die Zündung kurz. Im nächsten Augenblick fuhr er vom Verkaufsplatz auf die Straße hinaus.
    Er hielt vor einem Schnellimbiss, dessen verchromte Fassade ein Relikt aus den fünfziger Jahren war. Auf dem Dach lockte eine riesige Kaffeetasse, deren Neonröhren längst durchgebrannt waren. Drinnen war es schwülheiß.
    Der Geruch von Kaffeesatz und Frittierfett hatte sich auf allen Oberflächen festgesetzt. Links befand sich eine lange Resopaltheke, vor der rote Kunstlederhocker mit verchromten Beinen standen; rechts vor den sonnenhellen Fenstern befanden sich Sitznischen – jede mit einer dieser individuellen Musikboxen mit den Titelkärtchen aller Songs, die man für einen Quarter abspielen konnte.
    Bournes weiße Haut wurde von den schwarzen Gesichtern, die sich ihm zuwandten, als die Tür sich mit leisem Gebimmel hinter ihm schloss, schweigend registriert. Niemand erwiderte sein Lächeln. Den meisten war er wohl gleichgültig, aber einige, die empfindlicher waren, schienen sein Aufkreuzen für ein schlimmes Omen zu halten.
    Er war sich der feindseligen Blicke bewusst, als er in eine der Nischen mit klumpigen Sitzpolstern glitt. Eine Bedienung mit orangeroter Afrofrisur und einem Gesicht wie Eartha Kitt ließ eine Speisekarte mit Fliegendreck auf dem Umschlag vor ihm auf den Tisch fallen und goss ihm dampfend heißen Kaffee ein. Wache, übertrieben stark geschminkte Augen in einem von Sorgen gezeichneten Gesicht betrachteten ihn mit einer Mischung aus Neugier und etwas anderem, das vielleicht Mitgefühl war. »Lass’n Sie die Leute ruhig gaff’n, Schätzchen«, sagte sie leise. »Die ham bloß Angst vor Ihn’.«
    Bourne aß ein mittelmäßiges Frühstück: Spiegelei, Schinken und Bratkartoffeln, alles mit bitterem Kaffee hinuntergespült. Aber er brauchte Proteine, und das Koffein ließ ihn zumindest vorläufig seine Erschöpfung vergessen.
    Die Bedienung goss ihm Kaffee nach, den er mit kleinen Schlucken trank, um die Zeit totzuschlagen, bis das Maßatelier Lincoln Fine Tailors geöffnet haben würde.
    Aber er war nicht untätig. Er zog den Notizblock, den er aus Conklins Medienraum mitgenommen hatte, aus der Tasche und betrachtete erneut den Abdruck auf dem obersten Blatt: NX 20 . Das klang irgendwie experimentell, irgendwie bedrohlich, aber in Wirklichkeit konnte es alles Mögliche, vielleicht nur irgendein neuer Computer sein.
    Er sah auf und verfolgte, wie Bewohner dieses Viertels kamen und gingen, wie sie über Sozialhilfeschecks, Drogenbeschaffung, Polizeibrutalität, den plötzlichen Tod von Angehörigen und

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