Das Bourne-Vermächtnis
lange verlorenen Sohn Joshua wiedererkannt?«
»Du bist nicht Joshua!« Bourne war jetzt wütend, sein Gesichtsausdruck finster, seine Zähne wie zu einem Knurren gefletscht. »Welchen Diplomaten aus Südostasien hast du ermordet, um diesen Buddha zu bekommen?« Er lachte grimmig. »Ja, ich weiß mehr über dich, als du denkst.«
»Dann täuschst du dich gewaltig. Er gehört mir, Bourne. Hast du verstanden?« Chan öffnete die Hand und wies nochmals die von seinem Schweiß dunkel verfärbte kleine Steinfigur vor. »Dieser Buddha gehört mir!«
»Lügner!« Bourne riss die Arme hinter seinem Rücken hervor und stürzte sich auf ihn. Als Chan ihn gefesselt hatte, hatte er die Armmuskeln und die Sehnen des Handgelenks angespannt, damit sie stärker hervortraten.
Und während Chan sich an seiner Hilflosigkeit geweidet hatte, war es ihm gelungen, die schlaff gewordene Fesselkordel abzustreifen.
Chan war nicht auf diesen Ansturm gefasst. Er fiel nach hinten, und Bourne landete auf ihm. Die Stablampe schepperte zu Boden und rollte mal hierhin, mal dorthin, wobei ihr heller Strahl die Kämpfenden beleuchtete und mal ein verzerrtes Gesicht, mal einen angespannten Muskel hervortreten ließ. In diesem unheimlichen Wechsel aus Licht und Schatten, der so an den dichten Urwald erinnerte, den sie hinter sich gelassen hatten, kämpften die beiden wie Raubtiere, sie atmeten die Feindseligkeit des anderen ein, sie rangen auf Leben und Tod.
Bourne knirschte mit den Zähnen, ohne sich dessen bewusst zu sein. In blinder Wut schlug er immer wieder auf Chan ein. Chan gelang es, seinen Oberschenkel in die Hände zu bekommen und mit den Daumen auf einen dort befindlichen Nervenknoten zu drücken. Bourne taumelte, weil sein vorübergehend gelähmtes Bein unter ihm nachgab. Chan verpasste ihm einen Kinnhaken, und Bourne taumelte noch mehr, schüttelte dabei benommen den Kopf. Als es ihm gelang, sein Schnappmesser herauszuziehen, traf Chan ihn mit einem weiteren gewaltigen Boxhieb. Bourne ließ das Messer fallen. Chan griff es sich sofort, ließ die Klinge aufschnappen.
Er stand jetzt über Bourne, hielt ihn am Hemd gepackt und riss ihn daran hoch. Ein kurzer Schauder durchlief seinen Körper, wie ein Stromstoß durch eine Leitung geht, wenn ein Schalter umgelegt wird. »Ich bin dein Sohn. Chan ist ein Name, den ich angenommen
habe, genau wie David Webb den Namen Jason Bourne angenommen hat.«
»Nein!« Bourne musste schreien, um den anschwellenden Lärm und die Vibrationen der Triebwerke zu übertönen. »Mein Sohn ist mit dem Rest meiner Familie in Phnom Penh umgekommen!«
»Ich bin Joshua Webb«, sagte Chan. »Du hast mich
im Stich gelassen. Du hast mich dem Dschungel, meinem Tod überlassen.«
Die Messerspitze schwebte über Bournes Kehle. »Unzählige Male war ich dem Tod nahe. Ich wäre auch gestorben, hätte ich mich nicht an die Erinnerung an dich klammern können.«
»Wage nicht, seinen Namen noch mal zu gebrauchen!
Joshua ist tot!« Bourne war blass vor Zorn, fletschte in tierischer Wut die Zähne. Blutgier trübte sein Sehvermögen.
»Vielleicht ist er das.« Die Messerklinge berührte jetzt Bournes Haut. Einen Millimeter tiefer, dann würde sie eine blutende Wunde hinterlassen. »Ich bin jetzt Chan. Joshua – der Joshua, den du gekannt hast – ist tot. Ich bin zurückgekommen, um mich zu rächen, um dich dafür zu bestrafen, dass du mich verlassen hast. Ich hätte dich in den letzten Tagen ein Dutzend Mal liquidieren können, aber ich habe abgewartet, weil du vor deinem Tod erfahren sollst, was du mir angetan hast.« In Chans rechtem Mundwinkel hatte sich eine unbeachtete Speichelblase gebildet, die stetig größer wurde. »Warum hast du mich im Stich lassen? Warum bist du einfach abgehauen?«
Ein gewaltiger Ruck ging durch das Flugzeug, als es beim Start zu rollen begann. Von der Klinge spritzte Blut, als sie Bournes Haut zerschnitt; dann war sie auf einmal nicht mehr da, weil Chan das Gleichgewicht verlor. Das nützte Bourne zu einem Faustschlag aus, der Chans Rippen traf. Chan machte eine Sichelbewegung mit dem linken Fuß, hakte ihn hinter Bournes Knöchel und brachte ihn so zu Fall. Die Maschine wurde langsamer, bog vom Rollweg auf die Startbahn ab und bremste am Haltepunkt.
»Ich bin nicht abgehauen!«, brüllte Bourne. »Joshua ist mir weggenommen worden!«
Chan warf sich auf ihn. Das Messer zuckte herab. Bourne verdrehte im letzten Augenblick den Körper, sodass die Klinge an seinem rechten Ohr
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