Das Bourne-Vermächtnis
ganze Nacht im Vier-Null-Archiv verbracht.« Lindros sprach von den in einem Hochsicherheitstrakt gelagerten Personalakten aller CIA-Mitarbeiter.
»Ich glaube, ich weiß jetzt alles, was es über Alex Conklin und Jason Bourne zu wissen gibt.«
»Klasse. Dann schaffen Sie mir Bourne her.«
»Sir, nachdem ich nun alles über die beiden weiß, wie eng sie zusammengearbeitet, wie oft sie verdammt viel für einander riskiert und sich gegenseitig das Leben gerettet haben, halte ich’s für äußert unwahrscheinlich, dass Bourne Alex Conklin ermordet haben soll.«
»Alonzo-Ortiz will mich sprechen«, sagte der Direktor gereizt. »Glauben Sie, ich sollte ihr nach dem Fiasko am Washington Circle diese Mitteilung machen?«
»Nein, vielleicht nicht, aber …«
»Da haben Sie gottverdammt Recht, Sonnyboy. Ich
muss ihr Tatsachen berichten – Tatsachen, die zusammengenommen eine gute Nachricht ergeben.«
Lindros räusperte sich. »Im Augenblick weiß ich leider keine. Bourne ist verschwunden.«
»Verschwunden? Jesus, Martin, was für eine Art Geheimdienst führen Sie eigentlich?«
»Der Mann ist ein Zauberer.«
»Er besteht aus Fleisch und Blut, genau wie jeder andere«, donnerte der Alte. »Warum zum Teufel ist er Ihnen wieder durch die Lappen gegangen? Ich dachte, Sie hätten alle Schlupflöcher verstopft!«
»Das haben wir auch. Er ist einfach …«
»Verschwunden, ich weiß. Ist das alles, was Sie für mich haben? Dafür reißt Alonzo-Ortiz mir meinen gottverdammter Kopf ab, aber nicht bevor ich Sie einen Kopf kürzer gemacht habe!«
Der CIA-Direktor unterbrach die Verbindung und
warf das schnurlose Telefon durch die offene Tür aufs Bett. Als er geduscht, sich angezogen und einen Schluck Kaffee aus dem Becher genommen hatte, den Madeleine ihm diensteifrig hinhielt, stand sein Wagen bereits vor der Tür.
Beim Wegfahren warf er noch einen Blick durch die dunkle Panzerglasscheibe auf die Fassade seines Hauses: dunkelroter Klinker mit helleren Ecksteinen, funktionierende Läden an allen Fenstern. Es hatte einst einem russischen Tenor, einem Maxim Wasweißich, gehört, aber dem Direktor gefiel es, weil es eine gewisse mathematische Eleganz, einen aristokratischen Stil besaß, den modernere Häuser nicht mehr hatten. Das Beste daran war seine private Atmosphäre wie in der Alten Welt, die es einem gepflasterten Innenhof verdankte, der von grün belaubten Pappeln und einem kunstvoll geschmiedeten Eisenzaun abgeschirmt wurde.
Er lehnte sich in die weichen Polster des Lincoln Town Cars zurück und beobachtete mürrisch, wie Washington um ihn herum weiterschlief. Jesus, um diese Zeit sind nur die gottverdammten Rotkehlchen auf , dachte er.
Stehen mir nicht die Privilegien eines hohen Dienstalters zu?
Habe ich’s nach so vielen Dienstjahren nicht verdient, länger als bis fünf Uhr schlafen zu dürfen?
Sie fuhren in raschem Tempo auf der Arlington Memorial Bridge über den Potomac, der bleigrau unter ihnen lag und hart und flach wie die Landebahn eines Flughafens wirkte. Jenseits des Flusses überragte das Washington Monument den dorisch anmutenden Tempel des Lincoln Memorials; der Obelisk war so dunkel und bedrohlich wie die Speere, die die Spartaner einst in die Herzen ihrer Feinde stießen.
Jedes Mal wenn das Wasser über ihm zusammenschlägt, hört er ein musikalisches Geräusch wie von den Glocken der Mönche, das in den bewaldeten Bergen von einem Grat zum anderen hallt – der Mönche, auf die er in seiner Zeit bei den Roten Khmer Jagd gemacht hat. Und er hat den Geruch nach – was ist das gleich wieder? – Zimt in der Nase.
Das bösartig reißende Wasser ist voller Klänge und Gerüche, deren Herkunft ihm unklar bleibt. Es scheint ihn in die Tiefe zu reißen, und er versinkt erneut. Obwohl er mit aller Kraft kämpft, sich verzweifelt anstrengt, wieder an die Oberfläche zu gelangen, fühlt er sich, wie mit Blei belastet, in Spiralen in die Tiefe sinken. Seine Hände krallen nach dem dicken Tau, das um seinen linken Fußknöchel geknotet ist, aber es ist so schleimig, dass es ihm immer wieder durch die Finger gleitet. Was hängt am Ende dieses Taus? Er späht in die dämmrige Tiefe, in die er hinabgezogen wird. Er hat das Gefühl, unbedingt erfahren zu müssen, was ihn in den Tod zieht, als könnte dieses Wissen ihn vor einem namenlosen Schrecken bewahren. Er sinkt, sinkt, wird ins Dunkel hinabgezogen, ohne das Wesen seiner verzweifelten Notlage verstehen zu können. Unter sich, am Ende des straff
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