Das brennende Gewand
Steineschleuderers.
Trine aber war es, die das zerdrückte Pergament aus den Fingern der Gefällten löste.
Almut starrte die Marienfigur in ihrer Hand an.
»Gebenedeit sei die glorreiche Jungfrau, würdige mich, dich zu loben«, murmelte sie. »Wie kommt sie in meine Hand?«
»Deine Schwester hat sie in meinen Korb gelegt. Der Rest...« Clara zuckte mit den Schultern.
Krudener rappelte sich auf und betrachtete das Schlachtfeld. Scherben, Ruß, verschüttete Flüssigkeiten, Holzsplitter und auseinandergerissene Pergamente lagen überall herum. Es roch stechend nach Säure, verbranntem Schwefel und anderen unangenehmen Ingredienzien.
»Tut mir leid, Meister Krudener«, sagte Almut bedrückt.
»Muss es nicht. Ich trage selbst die größte Schuld daran.« Er sah auf Almodis nieder, der ein Fädchen Blut in die Haare sickerte. »Sie hat das wirklich alles getan, dessen Ihr sie beschuldigt habt?«
»Ja, das hat sie. Und noch weit mehr, fürchte ich.«
»Was tun wir mit ihr?« Trine hatte sich niedergebeugt und ihr die Hand auf die Stirn gelegt. Sie gab ein Zeichen, und Almut übersetzte: »Sie wird noch eine Weile ohne Besinnung sein. Doch wenn sie aufwacht, wird sie versuchen zu fliehen«, fügte sie hinzu.
»Um weiteren Schaden anzurichten, vermutet Ihr.«
»Noch sind ihr Bruder und sein Handlanger auf freiem Fuß.«
»Was schlagt Ihr vor, Frau Sophia?«
Almut überlegte, dann meinte sie: »Bindet sie an Armen und Beinen mit festen Riemen, und bringt sie in Euren Gebeinekeller. In der Schwärze dort, bei den Dämonen und Kanalratten, wird sie sich zu Hause fühlen. Legt sie in einen der steinernen Särge, dort mag sie in ihrem eigenen Schmutz warten, bis der Herr vom Spiegel sich ihrer annimmt.«
»Sie hat ihn wirklich verraten?«
»Sie hat ihn mit seinem Freund, Philip von Sinzig, betrogen, und als er sie zur Rede stellte, hat sie ihn als Ketzer verraten. Wie es aussieht, ist aber sie diejenige, die weit mehr den falschen Weg eingeschlagen hat. Die dunkle Seite der Magie, die Dämonenzauber und Gifte sind ihre Profession.«
»Ich werde tun, was Ihr sagt.«
Als sie die Edle von Bilk, Almodis Rodriguez de Castra, dem Dunkel übergeben hatten, halfen Clara und Almut dem Apotheker, das verwüstete Labor aufzuräumen, während Trine Kannen mit Wasser herbeischleppte und sie im Kessel erhitzte.
»Das Kind hat recht, Almut. Du siehst genau so schrecklich aus wie deine Schwester gestern«, erklärte Clara, und Almut schaute an ihrem zerfetzten, angesengten Gewand herab, dessen Saum von verschütteter Säure zerfressen war. Ihr einst weißes Gebände lag angekohlt am Rande des Kamins und ihre Haare wallten in wilder Unordnung über ihren Rücken.
»Ei wei«, seufzte sie. »So kann ich dem Herrn vom Spiegel nicht unter die Augen treten.«
Clara begann leise zu lachen. »›Kann auch jemand ein Feuer unter dem Gewand tragen, ohne dass seine Kleider brennen?‹«
»Offensichtlich nicht.« Almut hob den Rock an und betrachtete die Brandlöcher. Dann aber lächelte auch sie. »Clara, du hast heute viel für mich getan, und ich danke dir von Herzen.«
»Ich hab mir dabei das Knie angestoßen. Du weißt doch, wie empfindlich meine Gelenke sind.«
Trine wies Almut in Krudeners Badekammer, und nachdem sie an einigen Fläschchen geschnuppert hatte, gab sie ein paar Tropfen Rosenöl in die Kanne heißen Wassers und wusch sich die Spuren des Kampfes ab. Das taubstumme Mädchen begann, ihre wirren Haare auszubürsten, und unter ihren kundigen, heilenden Händen beruhigten sich ihre aufgewühlten Gefühle.
Sie hatte einen Sieg errungen, und nach und nach wurde ihr klar, was sie getan hatte. Sie war in Gefahr gewesen. In großer, ja sogar in Todesgefahr. Almodis hatte jede Beherrschung verloren, und Blutrunst hatte ihr Handeln gelenkt. Trotz der beruhigenden Bürstenstriche zitterte Almut plötzlich, und Trine legte ihr die Finger auf die Stirn, um mit sanfter Kraft darüber zu streichen. Schließlich atmete sie tief ein. Ivo vom Spiegel würde entsetzlich grollen, wenn sie ihre Tat beichtete. Aber, sie sog den süßen Rosenduft ein und schloss die Augen, vielleicht gab es einen Weg, ihn zu besänftigen. Das Zittern ließ nach, und eine innere Hitze stieg in ihr auf. Sie fragte sich, ob sie wirklich so begehrenswert für ihn war wie vor Zeiten Almodis. Zwar war sie verheiratet gewesen und wusste, was auf dem ehelichen Lager von ihr erwartet wurde. Aber die Leidenschaft, die seiner einstigen Geliebten eigen war,
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