Das brennende Gewand
Schluck Wasser für sie, Franziska?«
Die Wirtin, noch immer fassungslos, beeilte sich, das Gewünschte herbeizuholen, und während Rigmundis sich stärkte, zog Almut sie beiseite.
»Macht Euch keine Sorgen, Franziska. Ich nehme an, Rigmundis hat heute Nacht wieder schlecht geschlafen. Dann träumt sie manchmal mit offenen Augen und bringt die Psalmen durcheinander.«
Franziska schluckte hart. »Es hat sich aber sehr bedrohlich angehört. Fast wie eine Warnung!«
Almut gab ein kleines schnaubendes Lachen von sich. »Franziska, die Bibel ist voller Warnungen, und wie der weise Salomo schon sagt: ›Wer Mund und Zunge bewahrt, der bewahrt sein Leben vor Not.‹ Darum schweigt bitte über die törichten Worte meiner erschöpften Schwester.«
»Sicher, sicher. Aber...«
»Vergesst sie einfach.«
Almuts Rat galt Franziska, sie selbst aber memorierte während des gesamten Rückwegs die kryptischen Worte der Seherin. Denn das war Rigmundis, und ihre Weisungen enthielten oft Andeutungen auf künftiges Geschehen. Manchmal waren sie harmlos, bezogen sich auf das Wetter oder neue Kleider, andere aber, und hier durchfuhr Almut ein kalter Schauder, betrafen wirkliche Gefahren.
Elsa hatte Almut gezeigt, wie man die Dachwurz zu einem Umschlag verarbeiten musste, und mit einigen sauberen Leinentüchern und den zerquetschten Blättern pochte sie später an Claras Tür. Ein scharfes »Herein!« erlaubte ihr einzutreten, und ein giftiger Blick empfing sie.
»Danke, Clara, dass du mir die Sprüche des Salomo zum Lesen gegeben hast. Sie sind wirklich sehr belehrend.«
»Dann halte dich an seine Weisheiten.«
»Das werde ich auch tun. Genau wie du, Clara. Darum wirst du jetzt nicht länger ein zänkisches Weib sein, sondern dir meine Pflege gefallen lassen. Zieh dein Gewand aus, es ist ein Feuer darunter, das ich stillen will.«
»Nein. Lass mich doch in Ruhe.«
»Ganz bestimmt nicht. Du hast kein Recht zu leiden und uns allen die Laune zu verderben.«
»Dann bleibe ich eben in meiner Kammer. Du kannst gehen.«
»Nein, das kann ich nicht. Meine Kammer liegt neben der deinen, und mich stört dein Seufzen und Stöhnen.«
»Ich seufze nicht«, stöhnte Clara.
»Wenn du mich diesen Umschlag auf den Ausschlag legen lässt, verrate ich dir, welches Gesicht Rigmundis heute in der Küche im Adler hatte. Die arme Franziska hat sie vollends verstört mit ihren bedrohlichen Worten.«
Es flammte ein Fünkchen Neugier in Claras Augen auf.
»Was hat sie dazu gebracht zu sehen?«
»Franziskas Bier und die Herdflamme.«
»Und was hat sie gesagt? Wieder eine Warnung vor einem dämonischen Mörder?«
»Schlimmer, fürchte ich.«
»Nun erzähl schon!«
»Zieh das Gewand aus, und lass dir den Umschlag auflegen.«
Beide Frauen starrten einander herausfordernd an, dann sackten Claras Schultern nach unten und sie stand auf.
»Hilf mir. Mir tut jede Bewegung weh.«
»Ich weiß, Liebelein.«
Lautlos rannen Clara Tränen über die Wangen, während Almut sie verarztete. Dann zog sie ihr wieder die dünne, weiße Cotte über und schnürte das graue Obergewand nur ganz leicht, sodass es den kühlenden Verband nicht drückte.
»Besser?«
»Ein bisschen, ja. Aber jetzt erzähl endlich, was Rigmundis gesehen hat.«
Almut berichtete und merkte dabei erfreut, wie sich die Schmerzfalten um Claras Mundwinkel ein wenig glätteten.
»Das lässt auf eine höchst unsympathische Person schließen, die ihr begegnet ist oder uns begegnen wird. Was meinst du?«
»Eine honigmäulige Verräterin. Die gibt es eben überall. Ich hoffe, sie meint nicht eine von uns.«
»Ursula hat eine Kehle glatter als Öl, wenn sie singt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie jemanden mit ihrer Wollust verführt. Sie trauert noch immer um ihren Mann.«
»Das Rühren in Töpfen und Brauen in Kesseln spricht für Franziska, und deren Worte können schon scharf sein wie ein zweischneidiges Schwert. Aber sie ist eine ehrliche Haut und zu Täuschungen nicht fähig.«
»Ich wüsste auch keine von uns, die sich mit Dämonen abgibt.«
»Oder Mütter in den Wahnsinn treibt. Es wird jemand anderes sein. Vielleicht nur eine Klatschbase oder eine missgünstige Auftraggeberin oder die dumme Pute, diese Mutter Mabilia.«
»Es könnte harmlos ein, wie so oft. Trotzdem, du weißt, Almut, manchmal steckt wirklich eine Warnung hinter ihren Worten. Was war das mit den Psalm?«
»Der Siegespsalm des Steineschleuderers.«
»Mhm, hört sich gefährlich an. Lass mich ein
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