Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
fernen Gestaden des Empire hervorriefen. Um die Jugend für das Empire zu begeistern, existierten massenhaft entsprechende Druckerzeugnisse: für Mädchen The Girls’ Own Paper und für Jungen das 1879 begründete Boys’ Own Paper, das mit seinen spannenden Erzählungen von den Fronten des Kolonialreiches über eine halbe Million Leser gewann. Weit mehr noch lasen mit Begeisterung die Bücher G. A. Hentys, der an Sternstunden in der Geschichte der Expansion des Empire erinnerte, indem er etwa seine jugendlichen Helden an den Feldzügen Clives in Indien, Wolfes in Kanada oder den Kaperfahrten Drakes teilnehmen ließ. 1950 schätzte man die Höhe der Gesamtauflage seiner Abenteuerromane auf 25 Mio. Exemplare. Und später war es der vor allem als Kriminalschriftsteller hervorgetretene Edgar Wallace, der mit seinem Zyklus über den Distriktoffizier Sanders und Leutnant Bones seinen Lesern die Gefahren, Mühen und Erfolge britischer Kolonialverwaltung in Afrika nahebrachte. Viele dieser Bücher lieferten bald dem neuen Medium Film die Vorlagen für seine Produktionen. Als das Kino nach dem Ersten Weltkrieg seinen Siegeszug antrat und man erkannte, wie wirkungsvoll sich hier Unterhaltung und Propaganda verbinden ließen, stieg vor allem in den 30er Jahren die Zahl der Filme, die Stoffe aus der Geschichte und Gegenwart des Empire präsentierten. Wenn sich ein Film wie Die vier Federn (1939), den ein Kritiker als «imperialistische Symphonie» bezeichnete,[ 35 ] ungemein großen Zuspruchs beim Publikum erfreute, so war dies auch ein Zeichen für ein ungebrochenes positives Verhältnis der großen Mehrheit der Briten zu ihrem Empire – selbst in einer Zeit, als dessen Existenz bereits auf tönernen Füßen ruhte.
Aber auch in seiner letzten großen Blütezeit gab es Pessimisten und Kritiker, die warnend oder tadelnd ihre Stimme erhoben. Während imperialistische Reformer wie Seeley oder Chamberlain zwar potentielle Gefahren beschworen, diese jedoch als Ansporn für eine neue Politik und somit für ein erneuertes Reich verstanden, stellte H. B. Cox, ein hoher Beamter im Kolonialamt, bereits 1906 lakonisch fest: «Das Britische Empire wird, wenn überhaupt, allenfalls noch hundert Jahre bestehen»,[ 36 ] wofür er sich einen strengen Verweis seines Vorgesetzten, des parlamentarischen Staatssekretärs Winston Churchill, einhandelte. Und Charles Brooke, der weiße Herrscher von Sarawak in Nord Borneo, prophezeite ein Jahr später, daß Indien schon um die Jahrhundertmitte nicht mehr zum Empire gehören werde.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten manche, besonders die Advokaten der radikalen liberalen Freihandelslehre, den Erwerb und Besitz von Kolonien grundsätzlich verworfen; um 1900 stellte kaum jemand die Existenz des Empire grundsätzlich in Frage; doch dann löste der Burenkrieg den Beginn einer neuen und zum Teil folgenreichen Imperialismuskritik aus. Sie begann mit einem Paukenschlag, als der linksliberale Wirtschaftstheoretiker J. A. Hobson, der persönlich als Korrespondent an den Kämpfen in Südafrika teilgenommen hatte, 1903 seine Schrift Imperialism veröffentlichte. Hobson setzte mit seiner Kritik bei der heimischen Situation an, die er durch extreme soziale Ungleichheit geprägt sah, durch eine plutokratische Gesellschaftsstruktur, in der den Unterschichten ein angemessener Anteil am Sozialprodukt verweigert werde. Daraus resultiere eine allgemeine gesellschaftliche und wirtschaftliche Krisensituation, denn da den Massen die Kaufkraft für möglichen Konsum vorenthalten werde, mangele es für das auf der anderen Seite angehäufte Kapital an Investitionsmöglichkeiten. Diese würden nun konsequenterweise in Übersee gesucht, speziell in den afrikanischen Kolonien. Und tatsächlich waren es etwa die Rothschilds, deren Anleihen das britische Engagement in Ägypten finanzierten, die Cecil Rhodes’ erfolgreiche Bestrebungen zur Bildung eines marktbeherrschenden Diamantenkonzerns förderten, und die darüber hinaus in England für die Finanzierung der Produktion von modernen Maxim-Maschinengewehren sorgten, die bei den afrikanischen Feldzügen eine so entscheidende Rolle spielten. So manches sprach für Hobsons Argument, daß eine kleine Clique von Finanziers, Waffenproduzenten, Reedern und englischen Aristokraten (die für ihre mißratenen Söhne einträgliche Posten im Empire suchten) zur Förderung ihrer speziellen finanziellen Interessen auf die britische Politik einen unverhältnismäßigen
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