Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
Druck ausübe, weitere koloniale Expansion provoziere und letztlich für die Auslösung des Burenkrieges verantwortlich sei. Dabei sei der durch diesen Krieg entfesselte patriotische Überschwang vor allem das Produkt einer gezielten Propaganda der kapitalistisch gesteuerten Presse gewesen. Auch profitierten lediglich kleine Interessengruppen von den Erfolgen und Erwerbungen der imperialistischen Reichspolitik, die für die gesamte britische Volkswirtschaft in Wahrheit nur ein Verlustgeschäft sei. Und dies nicht allein in finanzieller Hinsicht, sondern gerade auch mit Blick auf die generelle politische Entwicklung Großbritanniens. Denn der übermächtige Einfluß der Imperialisten hemme entscheidend den demokratischen und sozialen Fortschritt zugunsten antiquierter gesellschaftlicher Hierarchien und entsprechender Wertvorstellungen.
Hobson war kein Sozialist. Als überzeugter Freihändler machte er keineswegs das kapitalistische Wirtschaftssystem pauschal für die Exzesse imperialistischer Politik verantwortlich, sondern lediglich die plutokratische Gesellschaftsstruktur Englands. Dennoch bildete seine langfristig durchaus einflußreiche Schrift den Ausgangspunkt für die künftige sozialistische Imperialismuskritik, mit der besonders Lenin und Rosa Luxemburg schon bald den Imperialismus als «die letzte Etappe des Kapitalismus» (Lenin) bezeichneten. Im britischen Umfeld seiner Zeit blieb Hobson allerdings ebenso wie einigen weiteren pessimistischen Warnern und Mahnern jede unmittelbare Wirkung versagt. Selbst bei der in diesen Jahren sich formierenden sozialistischen Labour Party überwog taktische Rücksichtnahme auf die unter den Wählern vorherrschende Begeisterung für das Empire, denn Imperialismuskritik konnte jederzeit als unpatriotische Haltung ausgelegt und dargestellt werden.
Aus der Rückschau des Historikers mag man darüber streiten, wann die Blütezeit des Empire durch dessen beginnenden Niedergang abgelöst wurde. Für manche verlieh es noch der Krönung Elisabeths II. 1953 einen letzten Glanz, für andere warf das Ende bereits zur Zeit des Burenkrieges seine Schatten voraus. Doch für die große Masse der Zeitgenossen war die Existenz und die Bedeutung des Britischen Empire bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges eine unbezweifelbare Realität. Wie zuvor 1897 die große Parade aus Anlaß des Diamond Jubilee Königin Viktorias die Größe des Empire zur Schau gestellt hatte, so demonstrierte die Siegesparade am 19. Juli 1919 dessen Vielfalt mit Truppenkontingenten aus aller Herren Länder zwischen Neuseeland und Neufundland. Darüber hinaus erreichte dieses Empire erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts seine größte territoriale Ausdehnung, und die große Empire-Ausstellung im Londoner Vorort Wembley konnte 1924 mehr als 27 Mio. Besucher verzeichnen, von denen sicherlich nur wenige unbeeindruckt blieben von der dort zur Schau gestellten und offenkundig unbezweifelbaren Macht des Britischen Empire.
6. ZWISCHENBILANZ II
Das ältere Empire war an dem Widerspruch von freiheitlicher Verfassung der Metropole und autokratischer Herrschaft an der Peripherie zerbrochen, an dem Gegensatz von politischer Selbstbestimmung in England und einer Politik der Londoner Regierung, die englischen Siedler in den amerikanischen Kolonien dem Willen der Zentrale zu unterwerfen, ohne ihnen das Recht auf politische Mitbestimmung zu gewähren. Um dieses Konzept durchzusetzen, fehlte es Großbritannien letztlich an militärischer Macht bzw. angesichts der außenpolitischen Konstellation an der Möglichkeit, diese konsequent und konzentriert einzusetzen. Obwohl nach wie vor die führende See- und Handelsmacht, bewies das Ende des ersten Empire, daß England seine Herrschaft über ein überseeisches Reich nicht allein auf seine letztlich begrenzte Macht gründen konnte, sondern daß es auf den Konsens und auch auf die Kollaboration zumindest von relevanten Gruppen der Beherrschten angewiesen war.
Langfristig hatte London aus dieser Erfahrung für die politische Organisation seines zweiten, nun wahrhaft weltumspannenden Empire die entsprechenden Lehren gezogen. Dies galt zumindest für die ‹weißen› Siedlungskolonien, in denen vorwiegend britische Auswanderer eine neue Heimat gefunden hatten, und denen im Laufe des 19. Jahrhunderts schrittweise politische Mit- und Selbstbestimmung im Rahmen des Empire gewährt wurde. Nachdem Kanada den Weg vorgezeichnet hatte, folgten ihm Australien, Neuseeland und
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