Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
beruhten schließlich auch auf der Teilhabe an einem weltweiten ökonomischen und kulturellen Netzwerk. Für die überseeischen Gebiete führten die wichtigsten Verkehrs- und Handelswege zunächst alle nach England. Mit der Expansion britischer Herrschaft ging naturgemäß die weltweite Ausbreitung des Englischen als Verkehrssprache des Empire und als Amtssprache in den Dominions und Kolonien einher. Im Bildungsbereich, in der Rechtspflege sowie bei der politischen Organisation lieferte England die einschlägigen Modelle. Und im späten 19. Jahrhundert wurde Cricket nahezu überall in den Dominions und Kolonien gespielt, wobei häufige Niederlagen des englischen Teams gegen Mannschaften aus Übersee mit dazu beigetragen haben mögen, den Zusammenhalt im Empire zu festigen. 1882 besiegte erstmals eine australische Mannschaft die Engländer in einem sogenannten ‹test-match›, und seit daraufhin die Times eine Todesanzeige für das englische Cricket veröffentlichte und mitteilte, die Australier hätten dessen sterbliche Überreste in einer Urne nach Australien entführt, wird bis heute zwischen den beiden Nationalmannschaften um die symbolträchtige Trophäe der «ashes» gespielt, wobei meistens die Australier als Sieger vom Platz gehen.
Wie alle Kolonialmächte, so veränderte auch England in seinen überseeischen Gebieten nachhaltig die Rahmenbedingungen für die Lebensverhältnisse der indigenen Bevölkerung, und zwar auch dort, wo es sich zum Prinzip der indirekten Herrschaft bekannte. Überall wurden bestehende ökonomische Verhältnisse durch Anpassung an die Interessen der Kolonialmacht verändert und soziale Strukturen mit der Durchsetzung europäischer bzw. britischer politischer Ordnungsprinzipien aufgebrochen. Vor allem wurden jetzt willkürlich politische Grenzen gezogen, Besitzverhältnisse bürokratisch registriert und neue Steuern festgesetzt und effektiv eingetrieben, d.h. die Grundelemente des modernen europäischen Staatswesens wurden nach Übersee transferiert.
Doch auch in umgekehrter Richtung fanden Transfers statt, wenn auch keineswegs in gleichem Ausmaß und mit der gleichen Intensität. Zwar verbot es die stolze Überzeugung von der naturgegebenen Überlegenheit der eigenen Rasse den Briten, bewußt von anderen Völkern und Kulturen bestimmte Errungenschaften zu übernehmen, doch unabsichtlich fand manches Element überseeischer Exotik Eingang in die insulare Welt der Engländer. Dies beschränkte sich nicht nur auf die nationale Leidenschaft für das Teetrinken – wobei Ende des 19. Jahrhunderts der jährliche Teekonsum von insgesamt 40 Mio. Engländern sich auf immerhin 6 Pfund pro Kopf belief. Im Austausch gegen Cricket und Rugby importierten sportive englische Gentlemen das aus Zentralasien stammende Polospiel, und der im Gebiet des Himalaya heimische Rhododendron bedroht heutzutage mit seinem wild wuchernden Wachstum vielerorts die Idylle der britischen Parklandschaft. Die Jagdleidenschaft der Oberschicht war nun nicht mehr nur auf das Erlegen von Füchsen, Hirschen und Birkhühnern beschränkt, sondern ihr eröffneten sich im Empire neue Jagdgründe. Fortan ließen sich die Empfangshallen heimischer Schlösser mit Elefantenzähnen, Tigerfellen und Büffelhörnern schmücken. Das einzig profitable Geschäft, das sich mit der ansonsten unrentablen Mombasa-Uganda Eisenbahn machen ließ, war der Transport von ebenso wohlhabenden wie blutrünstigen Jagdtouristen. Und wer es sich nicht leisten konnte, in Afrika Tiere zu jagen, der konnte sie zumindest im Londoner Zoo bestaunen. Desgleichen waren Exemplare überseeischer Flora im Königlich-Botanischen Garten in Kew im Südwesten Londons zu bewundern. Und schließlich präsentierten die Museen, allen voran das Britische in London, als Resultate nationaler Sammelleidenschaft zuhauf Kunstschätze wie auch ethnographische Exempel und Raritäten aus der weiten Welt des Empire.
Wie bereits im Jahrhundert zuvor, lieferte auch nach 1800 das Empire Anregungen und Vorlagen für Literatur und Malerei. Die Dichter der englischen Romantik – Shelley, Byron und Coleridge – waren besonders von der exotischen Welt Indiens fasziniert, und Gedichte wie Kublai Khan dienten als Vorlagen für zahlreiche populäre Melodramen, die auf Londoner Bühnen wie auch in der Provinz zur Aufführung gelangten. Später lieferten der Indische Aufstand, der Krieg gegen die Zulus 1879, Gordons Heldentod in Khartum sowie Episoden aus dem Burenkrieg den Stoff für
Weitere Kostenlose Bücher