Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
Laufe des 19. Jahrhunderts. Dennoch verstand man es auch hier, die Kosten erstaunlich niedrig zu halten. Im Jahr 1898 belief sich die Gesamtstärke der britischen Armee auf lediglich 215.000 Mann, von denen 99.000 in England, 75.000 in Indien sowie 41.000 in weiteren Garnisonen in Übersee stationiert waren; zur gleichen Zeit betrug die Stärke des deutschen Heeres 557.000 Mann und die des französischen sogar 927.000. Hinzu kamen allerdings noch ca. 150.000 indische Soldaten. Die Flotte benötigte weitere 100.000 Mann. Damit belief sich das jährliche Gesamtbudget für Heer und Marine auf 40 Mio. Pfund, was 2,5 % des Nationalprodukts entsprach.[ 32 ]
Diese Zahlen machen deutlich, daß trotz der zentralen Rolle von Marine und Heer für das Empire die britische Herrschaft in Übersee nicht vorwiegend auf militärische Macht gegründet war. Deren wesentliche Stützen waren vielmehr ein beträchtliches Maß an Selbstbeschränkung in den politischen Zielsetzungen, die stillschweigende Akzeptanz der Kolonialmacht bei der Mehrheit der Beherrschten sowie die Kollaboration von Teilen der indigenen Bevölkerung. Mit der zunehmenden territorialen Ausdehnung des Kolonialreiches begnügten sich die Briten mit der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, der Sicherung der Grenzen und der Eintreibung von Steuern. Weitergehende Eingriffe in die jeweiligen Verhältnisse vor Ort wurden tunlichst vermieden; hier wirkten sicherlich die Erfahrungen des indischen Aufstands von 1857 noch nach.
Letztlich aber bedurfte es für den Zusammenhalt und den Bestand des Empire mehr als einer effizienten Verwaltung und des gelegentlichen Einsatzes militärischer Macht. Auch die Symbolkraft von Institutionen und Demonstrationen bildete ein wichtiges Herrschaftsinstrument, das dazu beitrug, die Akzeptanz kolonialer Herrschaft bei den Briten zu Hause wie vor allem bei den Unterworfenen und den Bundesgenossen in Übersee zu fördern. Dabei kam der britischen Monarchie eine ganz besondere Aufgabe zu, nachdem Disraeli deren Rolle an der Spitze eines hierarchisch geordneten Imperiums durch die Verleihung der Kaiserkrone an Königin Viktoria neu definiert hatte. Das eindrucksvollste Beispiel hierfür lieferte in Indien der sogenannte Durbar – ursprünglich die feierliche Audienz, in der der Großmogul seine Herrschaft demonstrierte und in der die Briten ein nachahmenswertes Vorbild erblickten. Als 1876 Königin Viktoria zur Kaiserin von Indien proklamiert wurde, inszenierte ein Jahr später der englische Vizekönig in Anknüpfung an diese indische Tradition ein entsprechendes Spektakel, bei dem die indischen Prinzen der englischen Herrscherin, deren Macht eine eindrucksvolle Parade zur Schau stellte, öffentlich ihre Gefolgschaft bekundeten. Noch prächtiger war das 1903 aus Anlaß der Thronbesteigung Eduards VII. von Vizekönig Lord Curzon organisierte Schauspiel, und alles übertraf 1911 der Coronation Durbar für Georg V., der mit einer eigens für diese Gelegenheit angefertigten neuen kaiserlichen Krone persönlich in Delhi anwesend war.
Macht demonstrierte auch die britische Kolonialarchitektur, indem sie öffentliche Gebäude als Metaphern britischer Herrschaft errichtete. Auch hier lieferte Indien das imposanteste Beispiel. Nachdem 1911 die Entscheidung gefallen war, den Amtssitz des britischen Vizekönigs von der modernen Handelsmetropole Kalkutta nach Delhi – die altehrwürdige Zentrale der Mogulherrschaft – zu verlegen, signalisierte schon bald die von britischen Architekten gestaltete neue Hauptstadt New Delhi mit ihren imposanten Bauten, weitläufigen Plätzen, Parks und Boulevards unübersehbar den britischen Herrschaftswillen. Allein der Palast des Vizekönigs erstreckte sich über mehr als 1,5 Hektar, und in ihm waren 6000 Diener und 400 Gärtner beschäftigt, von denen allein 50 die Aufgabe hatten, die Vögel aus den Anlagen zu verscheuchen – und dies alles auf Kosten der indischen Steuerzahler.[ 33 ] Aber auch dort, wo wie in den Dominions freiwillige Bindung an die Stelle autokratischer Herrschaft getreten war, verkündeten öffentliche Bauten ähnliche Botschaften; wie etwa in Kanada, wo in der neuen Hauptstadt Ottawa 1868 das neue Parlamentsgebäude dem britischen Zeitgeschmack entsprechend im neugotischen Stil gehalten war und damit zugleich Distanz zu den USA demonstrierte, deren öffentliche Gebäude im Stil der antiken Klassik errichtet waren.
Bindung an England und Verbindung unter den einzelnen Reichsteilen
Weitere Kostenlose Bücher