Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
damit ein erhebliches Maß an politischem und ökonomischem Einfluß aufrechtzuerhalten.
In deutlichem Unterschied zu der Expansionspolitik vergangener Jahrhunderte, als die Initiativen überwiegend von der Peripherie, von ‹men on the spot› ausgingen, steuerte nun die Zentrale den Prozeß der Dekolonisation, der am Schluß darin gipfelte, daß 1964 Anthony Greenwood als Kolonialminister der neuen Labourregierung als Ziel seiner Politik erklärte, «sich und sein Amt überflüssig zu machen»[ 16 ] – zwei Jahre später hatte das Kolonialministerium aufgehört zu existieren.
Insgesamt hatte es lediglich zweier Jahrzehnte bedurft, um das Kolonialreich aufzulösen. Im Laufe dieser Zeit hatte man allerdings des öfteren ursprünglich gesetzte zeitliche Vorgaben korrigiert, um das Verfahren zu beschleunigen. Was dabei auf den ersten Blick als überhastete Flucht erscheinen mochte, geschah jedoch in Reaktion auf sich wandelnde Umstände und war das Ergebnis strategischer Überlegungen. Denn stets folgte die britische Entkolonialisierungspolitik dem obersten Grundsatz, keinesfalls mit der Aufgabe der Herrschaft den Eindruck zu erwecken, man weiche der Gewalt bzw. man kapituliere vor dem wachsenden Druck kolonialer Freiheitsbewegungen. Aus diesem Grund, und nicht nur, weil die Briten die Kosten aufwendiger und letztlich wohl aussichtsloser militärischer Aktionen scheuten, sahen sie darauf, in jedem Falle einen Kolonialkrieg zu vermeiden. Besonders die Umstände des Rückzugs der Franzosen aus Indochina und Nordafrika wirkten als abschreckendes Beispiel, und als 1961 der Widerstand britischer Siedler in Rhodesien gegen die Politik seines Kolonialministers wuchs, fürchtete Macmillan, hier könne für Großbritannien ein zentralafrikanisches ‹Algerien› entstehen.
Wenn Großbritannien damit eine Politik verfolgte, die in Umkehrung des militärischen Präventivschlags darauf setzte, eine Festung rechtzeitig aufzugeben, um eine Kapitulation nach einer Belagerung zu vermeiden, trug es damit auch den Gegebenheiten des Kalten Krieges Rechnung. Denn mit dem Aufstieg der Sowjetunion zur Weltmacht präsentierte sich diese in zunehmendem Maße den jungen Nationalbewegungen in den Kolonien der Dritten Welt als potentieller Bündnispartner im Kampf gegen den westlichen Imperialismus. Diese Entwicklung bestärkte die britische Politik zusätzlich darin, sich mit den Freiheitsbewegungen der Afrikaner zu arrangieren, nicht nur, bevor es zwischen den unterdrückten Schwarzen und den weißen Kolonialherren zum bewaffneten Kampf kam, sondern auch bevor sich die Afrikaner an die UdSSR als neue potentielle Schutzmacht wandten. Indem die Briten darauf sahen, im Prozeß einer weltweiten ‹Befreiungsaktion› selbst eine führende Rolle zu übernehmen, zielten sie darauf ab, Machtverlust zumindest durch Prestigegewinn zu kompensieren. Auch unter diesem Gesichtspunkt schien immer wieder Eile geboten.
Doch je rascher vielerorts die Dekolonisation vorangetrieben wurde, umso dringlicher stellten sich all jene Probleme, die mit der Zielsetzung nicht nur eines geordneten Rückzugs, sondern auch der einer geordneten Hinterlassenschaft verbunden waren. Konkret hieß dies, dafür zu sorgen, daß an die Stelle der Kolonien lebensfähige, wenn möglich nach dem Muster westlicher Demokratien organisierte Staatswesen traten, die darüber hinaus auch noch weiterhin besonders enge Beziehungen zur ehemaligen Metropole pflegten. Dem standen beachtliche Hindernisse im Wege, galt doch für alle – und nicht nur die ehemals britischen – befreiten Kolonien, daß es ihnen an innerer Homogenität mangelte, da sie nicht an die Strukturen, ja in den meisten Fällen nicht einmal an eine wie auch immer geartete Überlieferung vorkolonialer Zustände anknüpfen konnten. Die Grenzen, die hier im frühen 20. Jahrhundert zwischen ihnen gezogen worden waren, folgten keinen historischen, ethnischen oder religiösen Bruchlinien, sondern waren auf den Kartentischen europäischer Diplomaten festgelegt worden. Die Frage würde daher sein, was an die Stelle des kolonialen Herrschaftsapparats treten würde, der bislang als Klammer der territorialen Einheit des Gebiets fungiert hatte. Die mangelhafte Homogenität solcher Territorien verdeutlicht das Beispiel der beiden größten westafrikanischen britischen Besitzungen.
Die Kolonie Goldküste, ursprünglich aus Handelsstationen hervorgegangen, bestand im 19. Jahrhundert zunächst aus einem Küstenstreifen, der
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