Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
Streiks und nach indischem Vorbild organisierte Boykottaktionen die politischen Forderungen; auch kam es zu Unruhen. In Kenia verbreiteten die Terrorakte der Geheimorganisation Mau-Mau vom Stamm der Kikuyu, der am stärksten von der weißen Siedlungspolitik betroffen war, zwischen 1952 und 1956 Furcht und Schrecken. Über 2000 Morde, wobei sich 100 Europäer unter den Opfern fanden, gingen auf ihr Konto, doch als die Kolonialmacht mit gewohnter Rigorosität militärisch gegen sie vorging, verloren die Kikuyu mindestens 11.500 Stammesangehörige, und der größte Teil ihres Volkes wurde in kontrollierte Dörfer zwangsumgesiedelt.
Der so nach 1945 vielerorts aufflammende afrikanische Nationalismus hatte zur Folge, daß sich das Tempo der britischen Dekolonisierungspolitik merklich erhöhte. Hier setzte der von 1957 bis 1963 amtierende konservative Premier Harold Macmillan ein deutliches Zeichen. Ursprünglich hatte Macmillan zu den imperialistischen Hardlinern gezählt, noch 1952 von einem «third British Empire» geträumt, und zu Beginn seiner Amtszeit sah er dessen Zukunft dadurch gesichert, daß selbst nach einer globalen Reduzierung britischer Präsenz zumindest ein Netzwerk von strategischen Stützpunkten erhalten blieb; «we only need our ‹Gibraltars›» notierte er noch 1959 in seinem Tagebuch.[ 17 ] Doch im Zuge einer 1960 unternommenen Reise durch Afrika bezeichnete er in seinen Reden den neuen afrikanischen Nationalismus als «wind of change … blowing through this continent», und er fuhr fort: «Ob wir es wollen oder nicht: Dieses wachsende Nationalbewußtsein ist eine politische Tatsache. Wir alle müssen dies als Tatsache akzeptieren und unsere eigene Politik entsprechend ausrichten.»[ 18 ] Dies hieß nicht nur den Zeitplan zu straffen, sondern auch die Ausrichtung der Politik zu korrigieren. Während bislang die Maxime gegolten hatte, die Praxis der ‹indirect rule› als Ausgangspunkt für die Erziehung zur politischen Selbstbestimmung zu nehmen, so sah man sich nun veranlaßt, die neuen Nationalbewegungen als Verhandlungspartner zu berücksichtigen. An die Stelle der zuvor begünstigten Kollaborateure aus der Zeit der indirekten Herrschaft traten moderne afrikanische Politiker. Kooperation mit den Stammeshäuptlingen wurde durch Kommunalverwaltungen modernen Zuschnitts ersetzt, die mit Vertretern jener neuen europäisierten Schicht besetzt waren, die die Briten zuvor mit Mißtrauen bedacht hatten. Die Radikalität des Kurswechsels wird dadurch verdeutlicht, daß der überwiegende Teil der politischen Führer der aus britischen Kolonien hervorgegangenen jungen afrikanischen Staaten zuvor in britischen Gefängnissen eingesessen oder eine Zeit in der politischen Verbannung verbracht hatte. Wenn später in Südafrika der kurze Weg des Nelson Mandela von der Strafkolonie an die Spitze des Staates weltweites Aufsehen erregte, so existierten hierfür zahlreiche Vorbilder. 1951 wurde in Ghana Nkrumah aus dem Gefängnis geholt und zum ersten schwarzen Premier Afrikas gemacht; Kenyatta entließ man 1961 aus der Haft, und zwei Jahre später führte er Kenia in die Unabhängigkeit; ähnlich erging es Hastings Banda in Njassaland, der 1963 der erste Premier des unabhängigen Malawi wurde.
Generell zeichnete sich die Dekolonisierungspolitik der Ära Macmillan durch ein hohes Maß von Anpassungsfähigkeit aus, die dem Ziel diente, die jeweils vorherrschenden Kräfte in der Kolonie zu einer Zusammenarbeit zu bewegen, die zumindest partiell an die Stelle der bislang durch die Kolonialmacht direkt ausgeübten Kontrolle treten konnte und die Voraussetzung dafür bildete, daß der neue Staat weiterhin als Glied des Commonwealth Großbritannien verbunden blieb. Dies wird deutlich am Beispiel der Kolonie Goldküste, die auf Grund ihres relativen Wohlstands als erste der britischen afrikanischen Besitzungen in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Als 1949 eine neue Verfassung eine verstärkte Teilhabe der Afrikaner an der Kolonialverwaltung gewährleisten sollte, waren im Rahmen des Wahlsystems noch die alten Stammesorganisationen durch Nominierungsprivilegien gegenüber den neuen Städten an der Küste bevorzugt. Doch dann reagierte man auf den Aufstieg Nkrumahs und seiner Nationalpartei mit Verfassungsänderungen, die dessen Forderung ‹Self-Government Now› durch die vollständige Demokratisierung der Gremien einlösten. In Nigeria, das drei Jahre später seine Souveränität erlangte, reagierten die Briten
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