Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
nicht wiederholen. In der UNO nahezu völlig isoliert, willigten die Angreifer bereits am 6. November in einen Waffenstillstand ein. Großbritanniens Ansehen war auf einem Tiefpunkt angelangt, es hatte selbst vor den Augen der Weltöffentlichkeit den Beweis geführt, daß es nicht länger Weltmacht war, daß es vielmehr nur noch im Bunde mit den USA eine Rolle in der Weltpolitik zu spielen vermochte. Der konservative Abgeordnete Julian Amery, der sich kurz zuvor noch als entschlossener Imperialist profiliert hatte, wertete das Suez-Debakel als «Britain’s Waterloo»[ 15 ] und damit als den endgültigen Wendepunkt in der Geschichte des Britischen Empire.
Tatsächlich war die unmittelbare Folge der Aktion das Ende des britischen imperialen Intermezzos im Nahen Osten. Als nächstes zog Großbritannien sich 1957 aus Jordanien zurück, und im folgenden Jahr konnte es den Sturz der von ihm geförderten Regierung im Irak nicht verhindern. Längerfristig trug die Erfahrung von Suez vor allem dazu bei, den Prozeß der weiteren Entkolonialisierung zu beschleunigen – und dies betraf in erster Linie den Ende der 50er Jahre noch weitgehend intakten britischen Kolonialbesitz auf dem afrikanischen Kontinent.
4. DER RÜCKZUG AUS AFRIKA
Als Indien 1947 aufgegeben wurde, verfügte Großbritannien noch über einen riesigen Kolonialbesitz in Afrika, zum Teil erst jüngeren Datums als Anteil an der Beute, die ihm im allgemeinen ‹Rennen um Afrika› sowie nach 1918 zugefallen war. Neben den Kolonien und Protektoraten, die sich in durchgehender Linie von der Nordgrenze des Dominions Südafrika bis Ägypten erstreckten, gehörten im Westen des Kontinents Gambia, Sierra Leone, Goldküste und Nigeria dazu. Doch knapp zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren an deren Stelle durchweg souveräne Staaten getreten. Bereits kurz vor dem Suez-Debakel war 1956 in Übereinkunft mit Ägypten der Sudan in die Unabhängigkeit entlassen worden, 1957 folgte die alte Kolonie Goldküste – fortan Ghana. 1960 wurden Britisch-Somaliland und Nigeria die Unabhängigkeit gewährt, 1961 Sierra Leone und Tanganyika – nunmehr Tansania; 1962 Uganda, ein Jahr später Kenia und Sansibar, 1964 Njassaland, das fortan Malawi hieß sowie Nord-Rhodesien, nunmehr Zambia, 1965 das westafrikanische Gambia und schließlich die unter britischem Protektorat stehenden Enklaven der Südafrikanischen Union: 1966 Basutoland (Lesotho) und Bechuanaland (Botswana) sowie 1968 Swaziland. Die Ausnahme als Problemfall besonderer Art bildete Süd-Rhodesien, wo 1965 eine weiße Minorität gegen den Widerstand der Kolonialmacht von sich aus die Unabhängigkeit proklamiert hatte.
Während die Aufgabe der indischen Position durch eine Labour-Regierung gelenkt worden war, fand die Räumung der afrikanischen Stellungen unter der Ägide eines konservativen Kabinetts statt. Wie Clement Attlee als Premier und Lord Mountbatton als indischer Vizekönig einst den Machttransfer in Indien abgewickelt hatten, so lenkten anderthalb Jahrzehnte später Harold Macmillan als Regierungschef und sein Kolonialminister Ian Macleod den Rückzug aus Afrika. Damit wird deutlich, daß die Auflösung des britischen Kolonialreichs zu keiner Zeit ‹Parteisache› war. Zwar fanden sich in den Reihen der Konservativen durchaus noch imperialistische ‹Hardliner›, die die Partei weiterhin in der Nachfolge Disraelis als Partei des Empire sehen wollten. Dazu gehörte auch der alte Churchill, zumindest wenn er als Oppositionsführer im Parlament der Labour Regierung vorwarf, unter ihr verlöre Großbritannien noch rascher überseeische Kolonien, als es sie einst unter der glorreichen Herrschaft des älteren Pitt erworben habe. Doch andererseits waren auch die Konservativen bereit, pragmatisch auf veränderte Umstände zu reagieren. Nach dem Debakel von Suez ging die Regierung Macmillan in einem geradezu atemberaubenden Tempo daran, den afrikanischen Kolonialbesitz zu liquidieren. Und ähnlich wie zuvor die Führung der Labour Partei zu keiner Zeit den Rückzug aus Indien als ersten Schritt zur Auflösung des Empire verstanden hatte, so sahen jetzt die maßgeblichen Mitglieder der konservativen Regierung den Rückzug aus Afrika zugleich als Aufbruch in eine neue Zukunft des Empire. Auch ihnen ging es darum, durch die besondere Form der Überleitung in die staatliche Selbständigkeit, verbunden mit einer Mitgliedschaft im Commonwealth, eine enge Verbindung zu den ehemaligen Kolonien und
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