Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
England, d.h. vornehmlich den Hafen von Liverpool, mit Kurs auf die westafrikanische Küste, wo sie ihre Ladung von Textilien, Eisenwaren, Musketen und Schießpulver gegen vorwiegend junge männliche Sklaven eintauschten. Von denen starben mehr als 10 % auf der anschließenden Fahrt nach Westindien durch die unmenschlichen Transportbedingungen. Wenn der Rest mit Gewinn verkauft war – wobei die Pflanzer in der Karibik in der Regel das Achtfache des ‹Einkaufspreises› für einen Sklaven zahlten –, ging es meist mit einer Ladung Zucker nach England zurück. Der durchschnittliche Gewinn einer solchen Reise wurde mit 8–10 % veranschlagt.
Doch die Bedeutung des Überseehandels erschöpfte sich nicht in den direkten Gewinnen, die hier von britischen Kaufleuten erzielt wurden und die sich in ihrer Summe in der nationalen Handelsbilanz niederschlugen, welche zeitgenössischen ökonomischen Theorien zufolge als der Hauptindikator für die Wirtschafts- und Finanzkraft eines Staates galt. Darüber hinaus wirkte der Fernhandel als stimulierende Kraft für zahlreiche Sektoren der Gesamtwirtschaft. Vieles spricht dafür, daß Englands Einbindung in das System des Welthandels und speziell die kommerziellen Wechselbeziehungen innerhalb seines Empire seit dem späten 17. Jahrhundert das Wachstum des gewerblichen Sektors bis hin zur beginnenden industriellen Revolution nachhaltig gefördert und beschleunigt hat. Vor allem dort, wo eine steigende Nachfrage aus Übersee zu Engpässen in der heimischen Produktion führte, entstanden Anreize für zukunftsträchtige Innovationen. Und da der Überseehandel ebenso umfangreiche wie langfristige Investitionen erforderte, wurden neue Methoden und Instrumente im Bereich des Finanzwesens entwickelt. Banken lockten ausländisches Kapital an, und Versicherungen florierten durch weltweite Geschäfte. Wenn Wirtschaftshistoriker heute mit Blick auf die Zeit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert von einer kommerziellen und Finanziellen Revolution› in England sprechen, so ist deren Umfang ohne die Auswirkungen des Empire-Handels nicht zu erklären.
3. SCHIFFAHRT UND SEEMACHT
Von herausragender Bedeutung für den Aufstieg des Empire war die naturgemäß enge Wechselwirkung von expandierendem Überseehandel und wachsender Flotte, durch die Großbritannien schließlich zur führenden Seemacht aufstieg. So nahm der dem englischen Handel zur Verfügung stehende Schiffsraum im Laufe von hundert Jahren um das Dreifache zu und betrug in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts mehr als 500.000 Tonnen. Und wenn auch gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Holländer immer noch im europäischen Seehandel ihre Führungsposition behaupteten, so beherrschten die Engländer mehr und mehr den kolonialen Fernhandel. Die britischen Werften allein konnten schon bald den wachsenden Bedarf an Schiffsraum nicht mehr befriedigen, zumal die Lebensdauer der aus Holz gezimmerten Segler begrenzt war. Sie betrug in der Regel ca. zehn Jahre, d.h. ein Ostindienfahrer konnte mithin nur für insgesamt vier Fahrten nach Indien eingesetzt werden. Zudem betrug z.B. die Bauzeit für ein Linienschiff des 18. Jahrhunderts zwei Jahre, und man brauchte dazu das Holz von mehr als 3000 Eichen. So führte der steigende Bedarf an neuen Schiffen dazu, daß die nordamerikanischen Kolonien wie Massachusetts diese Chance zunehmend für ihre jungen Werften nutzten; mindestens die Hälfte der Schiffe, die z.B. im Jahre 1686 den Londoner Hafen anliefen, waren entweder Eigentum kolonialer Reeder, oder sie waren zumindest in Nordamerika gebaut worden.
Der Handel, speziell der überseeische Fernhandel, bildete das Fundament des älteren Empire, und dieses kommerzielle Empire war gleichzeitig notwendigerweise ein maritimes Empire, letztlich gegründet auf das nasse Element und hölzerne Schiffsplanken. In der Praxis bedeutete dies langwierige Seereisen mit all ihren Beschwernissen und Gefahren sowie das fortwährende Bemühen, die hierfür erforderlichen Instrumente und Techniken zu entwickeln bzw. zu verfeinern. Dabei stieg England seit der Mitte des 17. Jahrhunderts allmählich zur führenden seefahrenden Nation auf. 1675 wurde das Observatorium zu Greenwich von Karl II. gegründet, das fortan den Nullmeridian als Fixpunkt für nautische Messungen definierte. Später entwickelte der Uhrmacher John Harrison den für exakte Standortbestimmungen unerläßlichen Chronometer, eine Uhr, die unabhängig von einem durch den Seegang aus dem
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