Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
abzulösen. Gleichzeitig erforderte die Erfindung der Sprenggranate, die an die Stelle der massiven Artilleriekugel trat, eine aufwendige Panzerung der bis dahin hölzernen Kriegsschiffe. Im Oktober 1861 lief die erste mit einem eisernen Rumpf versehene Fregatte, die HMS Warrior, vom Stapel. 1881 lieferte die HMS Inflexible den Prototyp für das moderne Schlachtschiff, bei dem man völlig auf jegliche Form der Besegelung verzichtet. Damit gewannen die zahlreichen maritimen Stützpunkte in Übersee als Kohlestationen für die in ihrer Reichweite begrenzten Dampfschiffe zusätzlich an Bedeutung. Schließlich garantierten insgesamt 150 Marinebasen die weltweite Einsatzbereitschaft der britischen Kriegsflotte.
Modernisierung und weiterer Ausbau der britischen Kriegsmarine erfolgten dabei keineswegs kontinuierlich, sondern phasenweise, immer wieder von politischen und strategischen Grundsatzdiskussionen begleitet. Zwar war sich die Politik stets darin einig, daß die Flotte die Sicherheit des Empire zu gewährleisten habe, doch dafür boten sich drei Alternativen an. Manche Regierungen legten in erster Linie Wert auf die Sicherung des Seeweges nach Indien, und das bedeutete – besonders nach der Eröffnung des Suez-Kanals 1869 – in der Praxis eine verstärkte Flottenpräsenz im Mittelmeer, als Präventivmaßnahme gegen mögliche französische und vor allem russische Angriffe. Andere betonten die Bedeutung eines erdumspannenden Geflechts maritimer Basen für die globale Einsatzbereitschaft der Marine. Wieder andere legten das Gewicht auf eine starke Flotte von Schlachtschiffen in heimischen Gewässern als Schutzschild gegen mögliche Invasionen. Darüber hinaus verfolgten liberale Regierungen eine Politik der generellen Reduzierung der Staatskosten, die auch das Budget für die Marine nicht ungeschoren ließ, das z.B. zwischen 1816 und 1836 um 50 % gekürzt wurde. Doch immer wenn Gefahr für die Sicherheit Englands oder für dessen Weltmachtstellung drohte oder auch nur zu drohen schien, waren sich die britische Öffentlichkeit und die Regierungen darin einig, notwendige Rüstungen zur See in jedem Fall zu finanzieren. Die unbestrittene Führungsstellung auf den Weltmeeren galt nicht nur für die britische Kriegs-, sondern auch für die Handelsflotte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verfügte Großbritannien über ein Drittel des Schiffsraums der Welt und wickelte damit die Hälfte des gesamten Warenverkehrs zur See ab. Das Empire war auch im 19. Jahrhundert ein maritimes Empire, dessen Bestand eine überlegene Kriegsflotte garantierte und dessen Wohlstand weiterhin auf seine überseeischen Handelsverbindungen gegründet war.
Dennoch änderte das Empire im Laufe des 19. Jahrhunderts seinen Charakter. Zuvor hatten Förderung, Schutz und Regulierung des Handels im Zentrum der Reichspolitik gestanden. Handel und Herrschaft waren, wie die Navigation Acts und weitere Zoll- und Handelsgesetze bezeugten, aufs engste verknüpft gewesen. Doch im 19. Jahrhundert wurde diese Gleichung allmählich hinfällig und dies nicht nur als Folge des Verlusts der amerikanischen Kolonien. Vielmehr war bereits zuvor in England Kritik an Lehre und Praxis des merkantilistischen Systems laut geworden, wie besonders in Adam Smiths Hauptwerk The Wealth of Nations, das 1776 zeitgleich mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung erschienen war. Smith konzedierte zwar, daß das Empire wesentliche Impulse für Innovationen und Produktivität der heimischen Wirtschaft liefere, wies aber zugleich darauf hin, daß die vielfältige Regulierung des Handels, besonders die dadurch bewirkte Ausrichtung der Wirtschaft der Kolonien auf das Mutterland und umgekehrt, letztendlich gefährliche einseitige Abhängigkeiten für die Zukunft schaffe, die sich auf den weiteren ökonomischen Fortschritt nur hemmend auswirken könnten. Zudem verursache die staatliche Kontrolle des Handels unnötig hohe Kosten, denn Smith erstellte als einer der ersten eine buchhalterische Gewinn- und Verlustrechnung, in der er zu dem Schluß gelangte, daß unter den gegenwärtigen Umständen sich für Großbritannien die Herrschaft über seine Kolonien nicht mehr rentiere, sondern nur noch Verluste zur Folge habe.
Es bedurfte jedoch einiger Zeit, bis sich die Freihandels-Alternative in der Praxis gegen das merkantilistische System durchsetzte. Zunächst einmal beherrschte so etwas wie eine Trotzreaktion die britische Kolonialpolitik: Wenn man aus dem Verlust der
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