Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
amerikanischen Kolonien eine Lehre zog, dann die, unnachgiebig am überlieferten System festzuhalten. Da die Mehrheit der politischen Öffentlichkeit die Ursache der amerikanischen Revolution darin erblickte, daß man den Amerikanern einen zu großen Freiraum für die Ausbildung einer eigenen Politik gewährt habe, richtete sich der Trend nun nicht nur gegen den Ausbau kolonialer Selbstbestimmung, sondern zugleich hielt man an der Aufrechterhaltung der alten Navigationsgesetze fest, obwohl sich die ökonomischen Rahmenbedingungen durch die Auswirkungen der verstärkt einsetzenden Industrialisierung spürbar geändert hatten. So scheiterte z.B. William Pitt 1783 mit dem Versuch, die westindischen Kolonien im Interesse der dortigen Pflanzer weiterhin für den Handel mit den jetzt selbständigen USA offenzuhalten, am Widerstand der Vertreter des klassischen Merkantilismus, die nach wie vor argumentierten, daß nur ein geschlossenes Handelsimperium die notwendigen Voraussetzungen für eine florierende britische Marine und damit eine starke britische Seemacht als Basis einer britischen Weltmachtposition liefere. Und tatsächlich hatte das alte System der Handelsbeschränkungen und Präferenzzölle noch bis in die 40er Jahre des 19. Jahrhunderts Bestand, denn hinter ihm standen nach wie vor einflußreiche Interessengruppen wie die westindischen Zuckerproduzenten und die britische Textil- und Schiffbauindustrie. Und in den im Unterhaus überproportional vertretenen Landbesitzern, die 1804 und 1815 gerade die Einrichtung von Schutzzöllen gegen Getreideimporte (Corn Laws) durchgesetzt hatten, besaßen die Anwälte der alten Navigation Laws mächtige Verbündete.
Aber gleichzeitig gewannen die Vertreter des Freihandels an Boden. 1820 richtete erstmals eine Gruppe Londoner Kaufleute eine mit zahlreichen Unterschriften versehene Petition an das englische Parlament, in der sie entschieden für die Abschaffung aller Handelsbeschränkungen eintraten. Dergleichen Forderungen entsprachen der Tendenz der allgemeinen ökonomischen Entwicklung, die letztlich eine Trendwende in der Geschichte des Empire zur Folge hatte. Abgesehen davon, daß Großbritannien nach dem letzten Sieg über Frankreich nun keine ernsthafte Konkurrenz mehr in Übersee zu fürchten hatte, machte vor allem die nun mit Macht einsetzende Industrielle Revolution die Protektion britischer wirtschaftlicher Interessen weitgehend überflüssig. Zudem ging nach dem Abfall der amerikanischen Kolonien der Anteil der Re-Exporte von Kolonialwaren in die europäischen Länder kontinuierlich zurück. Statt wie zuvor Stapelplatz Europas für den Import von Kolonialwaren zu sein, wurde England nun zur Werkstatt der Welt. Da es im Bereich der industriellen Produktion einen entscheidenden Vorsprung besaß, war es zunächst als einzige namhafte Industriemacht nicht länger auf staatlich regulierte Märkte mit ihren Zöllen und Monopolen angewiesen. Die Attraktivität neuer Produkte sicherte nun alte und erschloß neue Absatzmärkte, wobei England als einzige Seemacht von Rang den Zugang zu diesen Märkten kontrollierte, mit dem Ergebnis, daß schon bald Großbritanniens Überseehandel und sein überseeisches Kolonialreich nicht mehr deckungsgleich waren.
Vor allem der florierende Handel mit seinen ehemaligen amerikanischen Kolonien sowie der rege Warenaustausch mit den ehemals spanischen Besitzungen in Südamerika, die sich ebenfalls kurz zuvor aus der kolonialen Herrschaft befreit hatten, lieferten den Beweis für die Vorzüge eines weltweiten Freihandels. So bezog die rasch expandierende englische Baumwollindustrie ihren Rohstoff zunächst aus Brasilien und später vor allem aus den Südstaaten der USA und setzte ihre Produkte anfangs vor allem außerhalb des Empire, d.h. in den USA und in Südamerika ab.
Die Politik des Zeitalters der liberalen Reformen trug solchen Entwicklungen Rechnung. Bereits zwischen 1820 und 1825 wurde das Zollregister zugunsten der ökonomischen Gleichberechtigung der Kolonien reformiert, und nach der großen Parlamentsreform des Jahres 1832 war es sogar eine konservative Regierung unter dem Premierminister Robert Peel, die gegen immer noch erhebliche Widerstände 1846 die Aufhebung der Kornzölle durchsetzte. Danach war 1849 die Aufhebung der Navigationsakte, die für fast zwei Jahrhunderte das Grundgesetz des Empire gewesen war, nur noch eine Formsache. Damit hatte das Prinzip des Freihandels über die Lehren des Merkantilismus triumphiert und
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