Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
sie einst das Herzstück des ersten Britischen Empire bildeten.
– III –
DAS KLASSISCHE EMPIRE – HERRSCHAFT UND MISSION (1784–1914)
1. ALLGEMEINE TENDENZEN UND STRUKTUREN: SEEMACHT – HANDEL TERRITORIALE EXPANSION – GLOBALE MISSION
Der Verlust der amerikanischen Kolonien bedeutete nicht das Ende des britischen Überseereiches; im Gegenteil, es folgte nun die Blütezeit des klassischen britischen Empire, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. Damals, um 1900, hatte es eine Ausdehnung erreicht, mit der es ein Viertel der Erdoberfläche umfaßte und über ein Fünftel der damaligen Weltbevölkerung, d.h. ca. 400 Mio. Menschen, herrschte. Zum Reich gehörten Kanada, Australien, Neuseeland, der gesamte indische Subkontinent, Burma und Malaya, und nach dem Ersten Weltkrieg kontrollierte es eine zusammenhängende Landmasse in Afrika und Vorderasien, die sich vom Kap der Guten Hoffnung über Rhodesien, Kenia und Ägypten bis nach Palästina und den Irak erstreckte; hinzu kam ein weltumspannendes Netz von maritimen Stützpunkten.
Es spielt keine Rolle, ob man dieses nun als das ‹Zweite› oder das Jüngere Empire› bezeichnet – in jedem Falle war es mit dem Handelsund Kolonialreich des 18. Jahrhunderts einerseits durch Kontinuitätslinien verbunden, andererseits durch Neuanfänge und Kurswechsel von diesem unterschieden. Mit dem Ergebnis, daß, ähnlich wie sein Vorläufer, auch dieses klassische Empire als das Resultat einer wechselvollen Geschichte ein höchst komplexes Gebilde darstellte, dessen Vielfalt aus der Gemengelage wechselnder Zielsetzungen hervorgegangen war, von denen sich die einzelnen britischen Regierungen zu verschiedenen Zeiten hatten leiten lassen. Nach wie vor hatten dabei Handel, Seemacht und überseeische Besitzungen im Zentrum des Interesses gestanden; auch im 19. Jahrhundert bildeten sie zusammengenommen das Fundament des Empire, wobei sich allerdings die Relationen zwischen diesen drei Faktoren im Laufe der Zeit verschoben.
Generell gilt, daß im 19. Jahrhundert der merkantile Charakter des Empire hinter dem machtpolitischen Anspruch zurücktrat. So verfolgte Großbritannien nach dem Verlust der amerikanischen Kolonien nun erst recht eine imperiale Politik mit entsprechenden weltumspannenden Zielsetzungen. Davon zeugen Verlauf und Ergebnisse des endgültigen Entscheidungskampfes mit dem napoleonischen Frankreich. Als nach dem triumphalen Sieg Nelsons über die vereinigte französisch-spanische Flotte bei Trafalgar 1805 die britische Vorherrschaft zur See unbestritten war, ging London daran, sie systematisch durch den Ausbau eines globalen Netzes von maritimen Stützpunkten zu festigen. Dementsprechend sicherte es sich auf dem Wiener Friedenskongreß den Besitz von Malta und der Ionischen Inseln im Mittelmeer, Helgolands in der Nordsee sowie des Kaps der Guten Hoffnung, der Seychellen, Mauritius’ und Ceylons als Stationen auf dem Seeweg nach Indien. Hinzu kamen Tobago und Trinidad in der Karibik. Andererseits verzichtete man auf wirtschaftlich profitable Eroberungen, wie die holländischen Kolonien in Indonesien, die Großbritannien in Besitz genommen hatte, nachdem Napoleon die Niederlande in Europa seinem Herrschaftsbereich einverleibt hatte. So wurde u.a. Java 1816 an Holland zurückgegeben, während Singapur und Malacca wegen ihrer seestrategischen Bedeutung in britische Herrschaft übergingen.
Kennzeichnend für die hinfort unbestrittene maritime Vorherrschaft Großbritanniens war, daß sie bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges von keiner Macht mehr ernsthaft herausgefordert wurde. Nur noch einmal, in der letzten großen Schlacht des Zeitalters der Segelschiffe, mußte die britische Marine 1827 in der Bucht von Navarino in dem gemeinsam mit den Franzosen und Russen erfochtenen Seesieg über die türkisch-ägyptische Flotte ihre Überlegenheit unter Beweis stellen. Um die nun errungene maritime Dominanz zu behaupten, sah sich Großbritannien allerdings immer wieder zur Aufrüstung und Modernisierung seiner Flotte gezwungen, die zu Recht als das entscheidende Instrument seiner Weltmachtpolitik galt und auch in Friedenszeiten mit vielfältigen Aufgaben zum Schutz des Empire und zur Sicherung des Handels betraut war. 1830 wurde das erste mit Dampfkraft betriebene Kriegsschiff der königlichen Marine, die HMS Dee, in Dienst genommen, und zehn Jahre später begannen neue Schiffe mit Schraubenantrieb die schwerfälligen Raddampfer
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