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Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)

Titel: Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wende
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man in solchen Zusammenhängen von ‹Freihandelsimperialismus› oder ‹informellem Empire› spricht – in jedem Falle existierte im 19. Jahrhundert neben den unter direkter britischer Herrschaft stehenden Gebieten eine weitreichende und zugleich niemals genau zu markierende Zone britischen Einflusses, die sich zudem nicht immer nur auf den wirtschaftlichen Bereich erstreckte, sondern in unterschiedlichem Maße auch die politischen Verhältnisse erfaßte.
    Gelegentlich geäußerte Empire-Skepsis oder Kolonialmüdigkeit sowie der idealistische Überschwang überzeugter Liberaler, die im Freihandel die Basis für ein weltweites friedliches Miteinander aller Staaten und Völker erblickten, dürfen somit nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch unter den liberalen Regierungen des 19. Jahrhunderts Großbritanniens überseeisches Engagement keineswegs erlahmte und es weiterhin jederzeit bereit und in der Lage war, seine ökonomischen und strategischen Interessen mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Hätte in London, wie im antiken Rom, ebenfalls ein Janustempel gestanden, dessen Tore in Zeiten des Krieges stets geöffnet sein mußten, er wäre im 19. Jahrhundert nur selten geschlossen gewesen. So fanden im Laufe der 64 Jahre währenden Regierungszeit der Königin Viktoria 72 Feldzüge statt, wobei es sich – abgesehen vom Krimkrieg (1854–1856) – allerdings nicht um Auseinandersetzungen zwischen Großmächten handelte, sondern um begrenzte militärische Aktionen in Übersee. Denn das Empire hatte nicht nur weiterhin Bestand, es expandierte sogar weiterhin, wenn auch in verschiedenen Phasen und mit unterschiedlichem Tempo. Vor 1870 wurden vor allem in Asien und hier im indischen Raum bis hin nach Burma und an die Grenzen Afghanistans ausgedehnte Gebiete britischer Herrschaft unterworfen; gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte ein spektakulärer Expansionsschub in Afrika.
    Bei diesem Prozeß wirkten zu verschiedenen Zeiten durchaus verschiedene Motive und Akteure zusammen. Zu keiner Zeit existierte ein globales Konzept für Umfang und Gestalt des britischen Weltreiches, wie überhaupt nur gelegentlich der Anstoß für weitere Annexionen bzw. Koloniegründungen von der jeweiligen Regierung in London ausging. Häufiger waren es die Aktionen von einzelnen bzw. von Gruppierungen an der Peripherie, die zu weiteren Eroberungen führten: Generäle und Gouverneure in Indien oder Männer wie Cecil Rhodes in Afrika. Dabei nahm man des öfteren Konflikte unter einheimischen Herrschern zum Anlaß, um durch den Einsatz von Marine und Armee den britischen Machtbereich zu erweitern und so schließlich die Londoner Zentrale vor vollendete Tatsachen zu stellen, die in der Regel nachträglich akzeptiert wurden. Das klassische Beispiel für derartig eigenmächtiges Vorgehen lieferte 1843 der britische General Sir Charles James Napier, als er die im nordwestlichen indischen Grenzbereich gelegenen Provinz Sind entgegen den politischen Weisungen des Londoner Kabinetts eroberte und davon lakonisch Meldung machte mit dem Signal «peccavi» (engl. Übersetzung: «I have sinned»); eine läßliche Sünde angesichts des Umstands, daß Napier dabei sein Privatvermögen um 50.000 Pfund aufstocken konnte.
    Schließlich war die territoriale Expansion des Empire auch die Folge eines über die gesamte Epoche wirksamen Migrationsdrucks, der sich in einem gelegentlich an- bzw. abschwellenden Strom von englischen Auswanderern niederschlug. Auch wenn die in diesem Zusammenhang gelegentlich genannte Zahl von 22 Millionen, die zwischen 1815 und 1914 von den britischen Inseln (einschließlich Irlands) aufbrachen, um sich in Übersee eine neue Heimat zu suchen, wahrscheinlich zu hoch gegriffen ist, und wenn zudem ein beträchtlicher Prozentsatz dieser Auswanderer (zwischen 30 % und 40 %) im Laufe ihres Lebens wieder zurückkehrte, so waren es den Passagierlisten zufolge immerhin mindestens 10 Millionen, die zwischen 1853 und 1920 in einem englischen, schottischen oder Waliser Hafen ein Auswandererschiff bestiegen. Und auch wenn hiervon 44,5 % dabei die USA zum Ziel hatten, so fuhren die übrigen nach Kanada (24,1 %), Australien und Neuseeland (15,5 %) und nach Südafrika (6,9 %). Dabei nahm der Trend zur Auswanderung in die ‹Randbereiche› des Empire zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu, denn zwischen 1900 und 1963 emigrierten 6 Millionen Briten (d.h. 80 % aller Auswanderer) in die Kolonien und Dominions ihres Empire.
    Dieser

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