Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
Kampfhandlungen abgezeichnet, daß die britische Regierung mit ihrer kompromißlosen Haltung letztlich scheitern mußte, fehlte es ihr doch an Mitteln, ihre Politik vor Ort konsequent umzusetzen. Als die Kolonien die neuen Steuern boykottierten, realisierte die Londoner Regierung schon bald, daß sich diese Steuern auch nicht mit Waffengewalt gegen einen breiten solidarischen passiven Widerstand würden eintreiben lassen. Bereits jetzt galt, was später generell zur Basis britischer Herrschaft in Übersee werden sollte: Ihre Herrschaft hing von der Bereitschaft der Beherrschten zur Kooperation ab und hatte zur Voraussetzung, daß zumindest Teile der Kolonisten oder der indigenen Population, vorzugsweise deren Eliten, sich im eigenen Interesse in den Dienst des Empire stellten. Wohl stand in den Kolonien eine ansehnliche Zahl von ‹Loyalisten› auf seiten Englands, und es handelte sich dabei auch um Teile der kolonialen Führungsschichten, die sich im Laufe eines Prozesses sozialer Ausdifferenzierung gebildet hatten und am ehesten bereit waren, sich mit London zu arrangieren. Doch sie konnten nicht zu Stützen der englischen Politik werden, als der koloniale Widerstand zur Massenbewegung wurde und damit zu einer demokratischen Revolution mit einer durchaus gewichtigen Komponente sozialen Protests.
Allerdings lassen sich soziale Unzufriedenheit und antienglische Agitation nicht einfach in dem Sinne verknüpfen, daß die kolonialen Eliten sich nun unter den Schutz der britischen Waffen flüchteten und mit dem Sieg der Unabhängigkeitsbewegung gleichzeitig ihre Position verloren. Um diese zu verteidigen, setzten sich in manchen Kolonien, wie z.B. in Massachusetts, gerade auch Vertreter der sozialen Führungsschicht mit Erfolg selbst an die Spitze der nationalen Freiheitsbewegung und vermittelten so ein Gefühl der Solidarität und einer Interessenidentität, die alle Aggression auf die britische Kolonialmacht lenkte. Unabhängig davon, wie Umfang und Bedeutung des Sozialkonflikts im Rahmen des amerikanischen Unabhängigkeitskampfes eingeschätzt werden, trug er in jedem Fall maßgeblich dazu bei, daß die kolonialen Eliten nicht länger als Stützen des britischen Empires zur Verfügung standen.
Das durch solche Konstellationen und Entwicklungen bedingte Ende des älteren britischen Empire bedeutet aber nicht das Ende des Empires schlechthin, und selbst wenn hier ein deutlicher Einschnitt in dessen Geschichte markiert ist, bestehen daneben epochenübergreifende Kontinuitätslinien, die auch das Verhältnis Englands zu den von ihm besiedelten Landstrichen Nordamerikas einschließen. Trennung und Verlust waren keineswegs so total, wie es zu Anfang schien. Die Briten hatten vor allem aus der Befürchtung heraus, eine weitgehende Selbständigkeit der Kolonien werde das merkantile Empire zum Nachteil der britischen Handelsinteressen schwächen, um die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft in Nordamerika gekämpft. Doch nach der Niederlage blieben die erwarteten katastrophalen Folgen weitgehend aus. Obwohl die politischen Beziehungen zwischen der neuen Union und dem ehemaligen Mutterland weiterhin angespannt und konfliktträchtig blieben und es sogar 1812–1814 zu einem erneuten Krieg kam, erreichte der britisch-amerikanische Handel schon bald wieder das Vorkriegsniveau. So betrug z.B. der Wert britischer Exporte in die Vereinigten Staaten zwischen 1788 und 1791 im jährlichen Durchschnitt ca. 3 Millionen Pfund, d.h. fast soviel wie zwei Jahrzehnte zuvor. Vor allem die mit dem Unabhängigkeitskrieg nahezu gleichzeitig in England einsetzende Industrielle Revolution dämpfte die ökonomischen Folgen des Verlusts der Kolonien. Mit ihr verlor Englands Rolle als Stapelplatz für Kolonialwaren zunehmend an Bedeutung. Statt dessen nahm der Export von einheimischen industriellen Produkten rapide zu, der seine Abnehmer vorwiegend außerhalb des Empire fand, und hier wurden die Vereinigten Staaten bald zum wichtigsten Handelspartner. So ging ein großer Teil der neuen Baumwolltextilien in die USA, die ihrerseits dann die englischen Produzenten mit dem nötigen Rohstoff versorgten. Dies ist nur ein Beispiel dafür, daß der weitgehende Zusammenbruch des merkantilen Empire im atlantischen Westen angesichts des fundamentalen ökonomischen Wandels in England weitgehend folgenlos blieb. Das gleiche gilt für die Emigration als weiteres verbindendes Element zwischen Großbritannien und seinen ehemaligen amerikanischen Besitzungen. So
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