Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
sollte von nun an für fast ein Jahrhundert als richtungsweisende Zielsetzung die britische Außenhandelspolitik bestimmen, die jetzt mit der neuen ökonomischen Führungsposition Großbritanniens in Einklang gebracht worden war. Daß diese Reformpolitik der objektiven ökonomischen Entwicklung lediglich nachträglich Rechnung trug, belegen die einschlägigen Handelsstatistiken. Bereits zwischen 1814 und 1819 hatte der Anteil des Empire am Gesamtvolumen der englischen Exporte nur noch 30 % betragen. Nach der Aufhebung der Navigation Acts waren es zwischen 1854 und 1857 ebenfalls 30 %; in den Jahren kurz vor dem Ersten Weltkrieg stieg dieser Anteil dann auf 35 %. Ähnliches gilt für die britischen Importe, bei denen zwischen 1850 und 1913 der Beitrag des Empires auf 20–24 % beschränkt blieb.
Angesichts des reduzierten ökonomischen Gewichts der Kolonien wurde schließlich in den Kreisen radikaler englischer Freihändler die ketzerische Frage gestellt, inwiefern der Besitz eines überseeischen Kolonialreichs überhaupt von Vorteil sei. So verursachten im Urteil Richard Cobdens, des Mannes, der so erfolgreich gegen die Corn Laws agitiert hatte, die Kolonien lediglich unnütze Kosten, und Lord Henry Grey, der Kolonialminister des Jahres 1849, verdächtigte sogar leitende Politiker wie Robert Peel und William Gladstone, letztlich kein Interesse am Erhalt des Empire zu besitzen. Manch britischer Liberaler war ohnehin davon überzeugt, daß die noch im Reichsverband verbleibenden überseeischen Besitzungen früher oder später ihre Unabhängigkeit erlangen würden, und zitierte in diesem Zusammenhang den Satz des französischen Reformpolitikers Turgot (1727–1781), der Kolonien mit Früchten verglichen hatte, die, sobald sie reif sind, vom Baume fallen.
Doch solche Äußerungen dürfen nicht vergessen lassen, daß auch in der Blütezeit des englischen Liberalismus das britische Kolonialreich weiterhin Bestand hatte und darüber hinaus sogar für diese Epoche von einem über die politischen Grenzen des Empire hinausweisenden ‹Empire des Freihandels› als dem Ergebnis eines freihändlerischen Imperialismus› gesprochen werden kann. Wie zuvor das Empire der Navigation Laws einen konkurrenzfreien Raum für den britischen Handel gebildet hatte, so war im 19. Jahrhundert, dank der Führungsposition der englischen Industrie, auch im Reich des globalen Freihandels britischen Produkten eine monopolähnliche Vorrangstellung garantiert. Dabei war dieses Reich des Freihandels keineswegs ein herrschaftsfreier Raum. Denn wie zuvor die britische Seemacht das merkantile Empire der Handelsgesetze und Zollschranken gesichert hatte, so diente sie nun der Durchsetzung des Freihandelsprinzips. Wenn Staaten in Übersee britischen Händlern den freien Zugang für ihre Produkte verwehrten und selbst diplomatischer Druck erfolglos blieb, wurde gelegentlich auch militärische Gewalt zur Öffnung dieses Marktes eingesetzt. Das klassische Beispiel für diesen Freihandelsimperialismus und das sogenannte ‹informelle Empire› lieferte das britische Vorgehen gegen China. Als die chinesische kaiserliche Regierung 1839 den Opiumhandel mit Indien zu unterbinden suchte, aus dessen Einnahmen von ca. 5 Mio. Pfund jährlich die britische Ostindienkompanie weitgehend ihren Import chinesischen Tees finanzierte, sorgte im sog. ‹Opium Krieg› (1840–1842) sowie in dessen Nachspiel (1856–1860) u.a. der Einsatz von Kanonenbooten nicht nur für den Erwerb von Hongkong, sondern auch für die Öffnung von fünf weiteren Häfen (u.a. Shanghai und Canton) für europäische Händler. Darüber hinaus sicherten entsprechende Verträge hinfort Europäern einen privilegierten rechtlichen Status. Obwohl hier keine politische Herrschaft etabliert wurde, besaß China damit nicht mehr den völkerrechtlichen Status eines uneingeschränkt souveränen Staates. In ähnlicher Weise verschaffe man sich gemeinsam mit den USA Zugang zum japanischen Markt, so u.a. 1863 durch die Beschießung des Hafens von Kagoshima. Und vor den Küsten Afrikas waren Einheiten der britischen Marine ständig präsent, auch um für die Durchsetzung des mittlerweile ergangenen allgemeinen Verbots des Sklavenhandels zu sorgen. Andernorts, wie etwa in Südamerika, traten an Stelle des uneingeschränkten Handels zumindest Verträge, in denen Briten Präferenzzölle gewährt wurden, wie 1810 mit Brasilien, 1825 mit Argentinien und 1834 mit Peru. Schließlich bleibt es gleichgültig, ob
Weitere Kostenlose Bücher