Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
spektakulären und dramatischen Ereignissen, von heroischen sowie blutrünstig-düsteren Episoden, die zusammengenommen eine Art Gründungsmythos des britisch-indischen Empire bilden. Am Anfang stand die Eroberung Kalkuttas durch den Nabob Siraj-ud-Daula, der nach fünftägiger Belagerung die Stadt stürmte und der Überlieferung nach 146 Briten in ein winziges Gefängnis von 13 mal 18 Fuß sperrte («the Black Hole»), von denen angeblich nur 23 die Nacht überlebten. Es folgten die entscheidenden Siege winziger Kontingente englischer Soldaten über riesige Heere einheimischer Fürsten samt ihrer furchteinflößenden Kriegselefanten. So nahmen 1751.200 Briten, unterstützt von 600 indischen Söldnern (sepoys), im Handstreich Arcot, die Hauptstadt des Karnatik und verteidigten sie anschließend erfolgreich gegen eine feindliche Übermacht. Und in der Entscheidungsschlacht von Plassey siegte eine Streitmacht von 3200 Mann und acht Kanonen über das Heer des Nabob von 49.000 Mann und 40 Kanonen, wobei allerdings auf dieser Seite Verrat im Spiel war und ein Teil des indischen Heeres sich, einer geheimen Verabredung gemäß, am Kampf nicht beteiligte.
Militärisch ausschlaggebend war in diesen und anderen Schlachten nicht der Umstand, daß die Europäer über Feuerwaffen verfügten. Diese waren in Indien durchaus bekannt und standen den Einheimischen zur Verfügung, seit die Mogule ihre Erfolge durch den Einsatz von Musketen und Feldartillerie errungen hatten. Als neue ‹Wunderwaffe› erwies sich vielmehr eine nach europäischem Muster gedrillte Infanterie, die nicht nur dem undisziplinierten und schlecht gerüsteten Haufen der indischen Infanterie weit überlegen war, sondern angesichts ihrer effektiv eingesetzten Feuerkraft auch den berittenen Kerntruppen der indischen Heere. Die Franzosen hatten als erste indische Söldner nach europäischem Reglement zu Infanteristen ausgebildet, und die sparsamen Direktoren der East India Company folgten diesem Beispiel, als man daran ging, eine eigene Truppe aufzubauen. In den Jahren des Krieges gegen die Franzosen wurde diese allerdings durch angemietete königlich britische Regimenter verstärkt, so daß die Zahl der britischen Truppen auf insgesamt 20.000 Mann anstieg. Doch auch im asiatischen Raum war in der Auseinandersetzung mit dem europäischen Rivalen letztlich die Stärke der britischen Kriegsflotte ausschlaggebend, deren Präsenz in entscheidenden Phasen des Krieges, wie etwa bei der Belagerung von Madras durch die Franzosen 1758, den Ausschlag gab.
Schließlich bleibt die Expansion britischer Macht in Indien unauflöslich mit der Person Robert Clives verbunden, ohne dessen Energie, militärisches Talent und auch Fortune die East India Company wohl kaum Bengalen hätte unterwerfen können. Clive (1725–1774) hatte als einfacher Angestellter (‹clerk›) der Gesellschaft begonnen, wechselte allerdings in Indien in deren militärischen Dienst über, und stellte sowohl bei der Verteidigung der englischen Position im Karnatik als auch vor allem bei der Eroberung Bengalens seine herausragenden Führungsqualitäten unter Beweis. Mit seinen Erfolgen steht er am Anfang einer langen Reihe von Akteuren vor Ort – von ‹men on the spot› –, die wesentlich dazu beitrugen, daß Indien unter britische Herrschaft gelangte. Denn weder die Direktoren der East India Company in London noch die britische Regierung verfolgten entsprechend weitreichende Pläne. Die einen waren als Kaufleute in erster Linie an einem reibungslosen und möglichst profitablen Handel interessiert, die anderen allenfalls daran, den Gegner Frankreich auch in Asien auszuschalten.
Angesichts der vielfältigen Rivalitäten und der zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lassen sich die Übergänge von einer auf Verteidigung der merkantilen Interessen ausgerichteten Strategie hin zu einer aggressiven Eroberungspolitik nicht ohne weiteres markieren. Darüber hinaus führten selbst entscheidende militärische Siege zunächst keineswegs zur Einrichtung eines direkten britischen Regiments, sondern zu verschiedenen Formen indirekter Herrschaft unter weitgehender Bewahrung einheimischer Strukturen und Institutionen. Es war wiederum Clive, der den entscheidenden Schritt auf dem Weg der Kompanie von einer britischen Handelsgesellschaft hin zu einer indischen Territorialmacht vollzog. Als 1764 die Nabobs der nordindischen Provinzen Bengalen und Oudh im
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