Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
britischen Kolonien durchzusetzen. Erst als zu Beginn der 30er Jahre nach fast fünf Jahrzehnten konservativer Herrschaft eine liberale Regierung in England eine Politik allgemeiner Reformen in Gang setzte und nachdem Sklavenaufstände in Westindien die Gefahr zusätzlicher kostenträchtiger militärischer Interventionen heraufbeschworen hatten und in Großbritannien 1823 eine Anti-Slavery-Society gegründet worden war, mit deren Hilfe die Petitionen neue Rekordzahlen erreichten, verabschiedete das Parlament im August 1833 ein Gesetz, das mit Wirkung vom 1. August 1834 die Sklaverei für alle britischen Kolonien aufhob. Ehemalige Sklaven konnten nun allenfalls noch bis 1840 zur Arbeit für ihre einstigen Besitzer zwangsverpflichtet werden. Diesen wurde eine Entschädigungssumme von insgesamt 20 Mio. Pfund zuerkannt, die zwar nur knapp die Hälfte des tatsächlichen ‹Wertes› betrug, aber immerhin auch die Hälfte des jährlichen britischen Regierungsbudgets ausmachte.
Es ist in diesem Zusammenhang nicht endgültig zu klären, ob der ökonomische Niedergang Britisch-Westindiens im 19. Jahrhundert in erster Linie die Folge der Sklavenemanzipation war oder eher der allgemeinen ökonomischen Entwicklung und insbesondere den Auswirkungen des Freihandels zuzuschreiben war. Denn angesichts der neuen Rechtslage entdeckten die westindischen Plantagenbesitzer das alte System der indenture wieder, in dem Auswanderungswillige als Entgelt für die Überfahrt für eine begrenzte Periode – in der Regel waren es nun fünf Jahre – ein Arbeitsverhältnis eingehen mußten, das sich kaum von der alten Form der Sklaverei unterschied. Unter diesen Voraussetzungen wurden zwischen 1830 und 1917 mehr als 400.000 indische ‹coolies› nach Westindien transportiert und ebenso viele nach Mauritius, später gingen sie in großer Zahl zunächst ins südafrikanische Natal und dann als Eisenbahnarbeiter nach Ostafrika.
So war die Aufhebung der Sklaverei letztlich zwar ein publizitätswirksamer, aber ökonomisch keineswegs folgenschwerer Akt. Sie blieb vor allem dadurch bedeutsam, daß das Empire damit im Urteil der britischen Öffentlichkeit in den Dienst übergreifender humanitärer Ziele gestellt worden war. Künftig konnten britische Aktivitäten in aller Welt, speziell aber auch die territoriale Expansion des Kolonialreichs, im Namen und für die Ausbreitung der moralischen Werte der christlich-abendländischen Kultur erfolgen. So gesehen war das Empire mehr als Handel und Herrschaft – es war zugleich Mission.
Dabei war dieses Empire in seiner Realität ein äußerst heterogenes Gebilde, der Vielzahl und Verschiedenheit der Umstände entsprechend, die zu seiner Entstehung geführt hatten. Auch «wenn man vom sogenannten ‹informal Empire› absieht, war das britische überseeische Reich gerade auch auf dem Höhepunkt seiner Weltmachtstellung ein Konglomerat höchst disparater Teile, die sich – einem vereinfachenden Schema folgend – drei Kategorien zuordnen lassen: den Dominions als den weißen Siedlungskolonien, den Kronkolonien und dem Komplex des indischen Herrschaftsbereichs».[ 7 ]
2. INDIEN
Die amerikanischen und westindischen Kolonien hatten das Gravitationszentrum des älteren Empire gebildet; im 19. Jahrhundert war Indien das Herzstück des britischen Weltreichs. Dessen Schwerpunkt hatte sich nach Osten verlagert. Um 1900 kontrollierte London hier ein Gebiet so groß wie Europa (ohne Rußland), das zudem mit 300 Millionen Einwohnern drei Viertel der Bevölkerung des gesamten Empire stellte. Mit Recht hatte der britische Premier Disraeli Großbritannien als ‹asiatische Macht› bezeichnet, und 1901 resümierte der in Delhi amtierende Vizekönig Lord Curzon: «So lange wir über Indien herrschen, sind wir die größte Weltmacht.»
Zugleich liefert die britische Herrschaft in Indien ein eindrucksvolles Beispiel für die Kontinuität zwischen dem älteren und jüngeren Empire, denn in ihren Anfängen reichte sie bis weit ins 18. Jahrhundert zurück. Damals vollzog sich der Übergang der englischen East India Company von einer reinen Handelsgesellschaft zu einem politisch-militärischen Machtfaktor auf dem indischen Subkontinent. Dieser Wandel war nicht das Ergebnis einer langfristigen zielgerichteten Strategie, sondern die Reaktion auf veränderte äußere Umstände, nämlich den Machtverlust der indischen Mogulherrscher und die zunehmend bedrohliche Konkurrenz durch den Erzrivalen Frankreich.
Im Laufe
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