Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
militärischer Abenteurer mehr und mehr verloren. So versickerten erhoffte Gewinne nicht nur in den Taschen von Privatleuten, sondern dienten auch der Finanzierung von Feldzügen, die den Vorgaben des Direktoriums diametral entgegenstanden. In Wahrheit hatte der Wandel von der Handelsgesellschaft zum territorialen Machthaber eine «Revolution» in den britischen-indischen Beziehungen bewirkt,[ 8 ] die Strukturreformen erforderte, zu denen die Gesellschaft von sich aus nicht im Stande war.
Das drohende Chaos rief den Staat auf den Plan, denn da die Gesellschaft für ihn inzwischen zur unverzichtbaren Einnahmequelle geworden war und zahlreiche einflußreiche Privatleute ihre Gelder in ihren Aktien anzulegen pflegten, war das ökonomische und politische Gewicht der Kompanie so bedeutsam und ihre Verflechtung mit Staat und Gesellschaft so vielfältig und eng, daß keine Regierung die Krise ignorieren durfte. Zudem waren Politiker in London in zunehmendem Maße dadurch irritiert, daß eine Handelsgesellschaft in der Rolle einer indischen Territorialmacht Verträge schloß oder gar Kriege führte, d.h. als privates Unternehmen hoheitsrechtliche staatliche Funktionen wahrnahm. Robert Clive selbst hatte schon frühzeitig darauf hingewiesen, daß die East India Company durch die Konsequenzen, die sich für sie aus der Eroberung Bengalens ergeben würden, überfordert sein werde und 1759 in einem Schreiben an William Pitt d. Ä. der Regierung nahegelegt, hier unmittelbar die Verantwortung zu übernehmen. Doch dem stand als sakrosankter Grundsatz englischen Rechts die Unverletzlichkeit privaten Eigentums entgegen, unter dessen Schutz auch die verbrieften Privilegien einer Handelsgesellschaft fielen. Erst als die Krise offenkundig wurde und 1772 ein Bankrott nur mühsam abgewendet werden konnte, waren die Voraussetzungen für die Neuregelung des Verhältnisses von Staat und Kompanie gegeben.
Zu diesem Zweck verabschiedete das Parlament in London 1773 die Regulating Act und 1784 schließlich die India Act William Pitts d. J., nach der die britischen Besitzungen in Indien bis 1858 regiert wurden. Die hier vollzogene Klärung und gegenseitige Abgrenzung der Kompetenzen von Staat und Kompanie waren ein großer Schritt in Richtung einer verstärkten staatlichen Kontrolle. Eine neue Behörde von sechs Commissioners for the affairs of India, unter ihnen der Schatzkanzler und ein Staatssekretär, war jetzt für die politischen und militärischen Angelegenheiten in den britischen Besitzungen zuständig. In Indien lag die Macht fortan in den Händen eines Generalgouverneurs mit Sitz in Kalkutta, der von der Regierung ernannt und dieser auch verantwortlich war. Die Kompetenz der Kompanie blieb auf den Handel beschränkt, und ihre Aktionärsversammlung war weitgehend entmachtet, abgesehen von der Wahl der Direktoren.
Auffällig ist, daß diese Anfänge britischer Kolonialherrschaft in Indien zeitlich mit dem Scheitern der Bemühungen um eine Konsolidierung der Herrschaft über die 13 britischen Siedlungskolonien in Amerika zusammenfallen.
Bereits das Datum der Übertragung der diwani an die Ostindische Gesellschaft verweist auf eine bemerkenswerte Koinzidenz mit den Ereignissen im Westen des Empire, wo zum selben Zeitpunkt die Amerikaner ihren Widerstand gegen die Stamp Act – und das hieß zugleich: gegen eine straffere britische Kolonialherrschaft organisierten. Die Bostoner Tea-Party, mit der die letzte Phase der Eskalation hin zum bewaffneten Konflikt ausgelöst wurde, fand zu einem Zeitpunkt statt, als mit dem Gesetz von 1773 ein erster Anlauf zur Neuordnung der indischen Verhältnisse unternommen wurde. Sie war zudem die Folge einer Politik, die über den Präferenzzoll für Tee die finanziellen Probleme der East India Company zu lösen versuchte. Denn deren Krise war vor allem dadurch verursacht worden, daß der britische Staat seit kurzem von ihr jährlich den Betrag von 400.000 Pfund kassierte, um damit wenigstens teilweise die steigenden Kosten für die Verwaltung der amerikanischen Kolonien abdecken zu können. Und als man diese 1783 endgültig aufgeben mußte, tat London 1784 mit der India Bill den entscheidenden Schritt zur Errichtung britischer Kolonialherrschaft in Indien. Das Ende des älteren Kolonialreichs im Westen fällt mit den Anfängen eines neuen Empire im Osten zeitlich zusammen. Gleichzeitig entsprach ein verstärktes allgemeines Interesse der politischen Öffentlichkeit an den Geschäften der East India
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