Das Buch Der 1000 Wunder
seitdem um ein Beträchtliches gesteigert, sodaß der Zeiger, welcher der Erkenntnisstunde zustrebt, sich jetzt schneller dreht als vorher.
Wie die Wissenschaft so manche andere wichtige Bekanntschaft auf einem Nebenpfad machte, der von der Hauptrichtung des verfolgten Gedankenwegs abwich – es sei nur an die Elektrizität und die Röntgenstrahlen erinnert – wurde auch das Radium gefunden, während man etwas ganz anderes suchte.
Die Röntgenstrahlen entstehen, wie wir aus dem Abschnitt 161 dieses Buchs wissen, an jener Stelle einer luftverdünnten und stromdurchflossenen Röhre, an der die Kathodenstrahlen die Glaswand treffen und die Erscheinung der Phosphoreszenz hervorrufen. Man begann daher bald nach des Würzburger Professors Tat nachzuforschen, ob das Aussenden von Röntgenstrahlen nicht vielleicht eine Eigentümlichkeit aller phosphoreszierender Körper sei, das heißt solcher, die bei Beleuchtung und auch noch eine Zeit lang nach deren Aufhören eigenes Licht aussenden. Der französische Physiker Henri Becquerel untersuchte in diesem Zusammenhang besonders gründlich die Uransalze, welche sämtlich die Eigenschaft der Phosphoreszenz besitzen. (Uran ist ein sehr seltenes Metall.) Er legte die Salze auf photographische Platten, die in schwarzes Papier eingehüllt waren, und fand in der Tat nach einigen Tagen die Platten an den Auflagestellen deutlich geschwärzt. Es schien also wirklich, daß die phosphoreszierenden Uransalze Röntgenstrahlen aussenden.
Aber in dieser Schlußfolgerung waren, wie sich sehr bald zeigte, zwei Irrtümer enthalten. Die Strahlung hatte mit der Phosphoreszenz nichts zu tun, und es waren gar keine Röntgenstrahlen vorhanden. Es ist das große Verdienst Becquerels, das klar erkannt zu haben. Als man nämlich andere Körper untersuchte, die viel stärker phosphoreszieren, fand man gar keine Schwärzung der 223 photographischen Platten, aber das Uranoxyd und das Uranmetall selbst, die keine Spur von Phosphoreszenz aufweisen, griffen die Platten sehr viel stärker an. Damit war klar erwiesen, daß das Uran und seine Verbindungen eine besondere Art von Strahlen auszusenden vermögen, die man Becquerel-Strahlen nannte.
Selbstverständlich wandte man nunmehr dem Uran eine ganz besondere Aufmerksamkeit zu. Das im Laboratorium Becquerels tätige Ehepaar Philipp und Sklodowska Curie untersuchte alle Mineralien, die zur Herstellung des Urans dienen. Zur nicht geringen Überraschung der Forscher fand man, daß manche dieser Mineralien weit stärker radioaktiv sind als das Uran selbst. Die lebhafteste Radioaktivität zeigte die Joachimsthaler Pechblende, die zu Joachimsthal in Böhmen bergmännisch gewonnen und aus Uranverbindungen verarbeitet wird. Das Ehepaar Curie schloß daraus, daß in den Mineralien irgend ein unbekannter Stoff enthalten sein müsse, der weit stärker radioaktiv ist als das Uran. Und nach zahlreichen schwierigen chemisch-analytischen Prozessen offenbarte sich ihnen eines Tags dieser Stoff wirklich; sie nannten ihn die strahlende Substanz: Radium. Seine Strahlkraft ist Millionen mal stärker als die des Urans.
In dem Radium besitzen wir also einen Körper und zwar ein Element, von dem ständig Strahlen ausgehen. Strahlung aber ist Aussendung von Energie. Man hat die Energie des Radiums durch seine Wärmewirkung messen können und dabei gefunden, daß ein Gramm Radiumsalz in der Stunde etwa 100 Kalorien entwickelt, das heißt in dieser Zeit imstande wäre, 100 Gramm Wasser um 1 Grad zu erwärmen. Daraus läßt sich errechnen, daß 6 Kilogramm Radium eine Pferdestärke leisten könnten. Würde Radium also in größeren Mengen zur Verfügung stehen, so könnte man damit Kessel heizen und Maschinen antreiben. Das wäre der idealste Betrieb; denn man könnte tausend Jahre und mehr mit einer einzigen Kesselbeschickung auskommen.
Woher aber schöpft das Radium die ihm innewohnende Energie? Erzeugt es sie ohne Zufuhr aus sich selbst? Ist es also nun doch eine Art Perpetuum mobile, dessen Unmöglichkeit die physikalische Lehre des Vielfachen nachgewiesen hat?
Die Beantwortungen dieser Fragen enthüllten ein tiefstes Wunder.
Auch das Radium ist, nach Weltzeiten gemessen, keine immer sprudelnde Energiequelle. Es macht Energie in Form von Strahlung nur aus dem Grund frei, weil es in seinen kleinsten Teilen ständig zerfällt. Atomzerfall , das ist die große Offenbarung, die das Radium gebracht hat! Ihre Erkenntnis verdanken wir den Forschungen Rutherfords . Ein Stoff geht in
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