Das Buch Der 1000 Wunder
Nach dieser Zeit kam kein Nachtwandeln mehr vor.”
Aus seiner eigenen Beobachtung kann Binz dann noch das folgende berichten.
„K., ein stets gesunder Mann aus gesunder Familie, in der Regel mit 150 vorzüglichem Schlaf begabt, litt während seiner Jünglings- und frühen Mannesjahre an Schlafwandeln. In jener Zeit bewohnte ich jahrelang das nämliche Haus mit ihm, später war ich sein Arzt. K. war von lebhaftem Temperament. Seine gewöhnlichen Träume äußerten sich im Sprechen unzusammenhängender Worte und Aufsitzen im Bett. Dabei blieb es aber meistens.
Eines Nachts, er mochte damals 17 Jahre zählen, stand er auf, machte Licht, kleidete sich an, raffte die Unterrichtsbücher des Gymnasiums, das er und ich besuchten, zusammen und stieg die Treppe hinab bis in den Hausflur. Hier vor einer großen Uhr mit kräftigem Schlagwerk angekommen, blieb er stehen und leuchtete, wie regelmäßig im Winter des Morgens früh, nach dem Zifferblatt. Der Zufall wollte, daß die Uhr in diesem Augenblick zwölf schlug. Bei den letzten Schlägen war er so wach geworden, daß er das Unsinnige seiner Lage erkannte, und erschreckt über sich und die Geisterstunde eilte er zu mir, weckte mich und erzählte mir den Vorfall. So stand er, die Bücher unter dem linken Arm, die Studierlampe in der Hand, vor mir. Ich beruhigte ihn, und er ging ruhig wieder zu Bett. Ob die Bücher die für den folgenden Tag richtigen waren, wurde nicht untersucht. K. hatte geträumt, es sei morgens gegen sieben Uhr, und er müsse zur Schule gehen. Automatisch tat er, was er fast täglich seit Sexta zu tun hatte, und erst die vollen Töne der Uhr weckten ihn auf.
Drastischer und mehr an die Kletterberichte über Nachtwandelnde erinnernd war folgender Vorfall, der sich ereignete, als K. 32 Jahren alt und verheiratet war.
K. wurde des Nachts gegen zwei Uhr wach, weil ihn die Knie schmerzten. Das Zimmer war vom Mond genügend beleuchtet, um ihn seine absonderliche Lage erkennen zu lassen. Er kniete nämlich im Hemd auf dem sechs Fuß hohen Porzellanofen des Schlafzimmers und hielt sich mit beiden Händen krampfhaft an dessen Seitenrändern, die profilartig vorsprangen, fest. Durch Zuruf weckte er seine Frau, diese hielt den vor dem Ofen stehenden Stuhl und auf seine Lehne tretend stieg K. herab. K. war als guter Turner denselben Weg hinaufgestiegen. Den weißen Ofen hatte er offenbar für ein Objekt seines Traums gehalten, von dem übrigens keine Erinnerung übrig blieb, und erst der Schmerz der nackten Knie rief die fest schlafenden Gehirnzellen zum Wachsein.”
Durch die Ofenexpedition trat die Notwendigkeit hervor, K. von seinem krankhaften Zustand zu heilen. Es wurde beobachtet, daß er im Traum viel sprach, rief und sich bewegte, wenn er am späten Abend viel geistig gearbeitet oder schwere Speisen genossen hatte. Vor jener Nacht, in der er auf den Ofen stieg, war beides geschehen. Eine darauf angeordnete und genau befolgte Geistes- und Körperdiät machte allem Nachtwandeln und allen aufgeregten Träumen ein Ende. 151
Man kann daraus erkennen, wie sehr die Erscheinung von allem Mystischen entfernt ist; einfache Änderungen des körperlichen Zustands bringen sie zum Verschwinden. Seitdem man das weiß, kann man Schlafwandelnden besser helfen als jener Arzt in Macbeths Schloß Dunsinan, der sagen mußte: »Diese Krankheit geht über meine Heilkunst.«
113. Der geheimnisvolle Schulaufsatz
Quelle: E. d'Espérance: »Im Reich der Schatten, Licht aus dem Jenseits«. Verlag der Hofbuchhandlung von Karl Siegismund, Berlin, 1901. Z.
Da, wie schon im vorigen Abschnitt erwähnt, die Zahl der eingehenden Berichte über schlafwandlerische Phänomene gering ist, möge hier noch einer Platz finden, der ein besonders eigenartiges Wunder darstellt. Von vornherein muß jedoch betont werden, daß der Bericht als wissenschaftliches Dokument bedeutungslos ist, da er niemals einer Nachprüfung unterzogen wurde. Er stellt die subjektive Mitteilung eines Menschen dar, der sehr stark unter halluzinatorischen Vorstellungen litt und daher in der Rolle eines Zeugen für tatsächliche Hergänge nicht gerade als besonders beweiskräftig angesehen werden kann.
Frau E. d'Espérance war eines der beachtenswertesten Medien, die jemals gelebt haben. Es wurde öfter beobachtet, daß sie schlafwandelnd durch die Zimmer ging. Über ihr selbstbiographisches Buch »Im Reich der Schatten« werden wir bei der Schilderung mediumistischer Phänomene noch ausführlicher zu sprechen haben
Weitere Kostenlose Bücher