Das Buch der Gaben - Tommy Garcia ; Band 1
aus wie ein kleiner Kasten, doch dann wurde das Leuchten fast unerträglich hell, und wir kniffen die Augen zusammen. Und plötzlich, von einer Sekunde zur nächsten, war es vorüber.
Der Kreis war verschwunden. Doch dieser Fleck, der aus ihm hervorgekommen war, lag immer noch exakt in der Mitte der Kammer. Wir starrten ihn an und glaubten, zu träumen.
»Ein Buch … «, flüsterte Janine.
Ja. Dort lag ein Buch. Ein kleines Buch, nicht viel größer als ein gewöhnliches Notizbuch. Es war dunkelbraun und unscheinbar. Wir hielten es kaum noch aus. Meine Neugier war so groß, dass ich das Buch am liebsten an mich gerissen und aufgeschlagen hätte. Aber es war Tommys Buch. Jeder von uns wusste das.
Vorsichtig ging Tommy in die Mitte der Kammer und hockte sich hin. Wir taten es ihm gleich, blieben aber einen Schritt hinter ihm und schauten ihm gespannt über die Schulter. Wie in Zeitlupe griff er nach vorn und berührte das kleine Buch. Nichts geschah.
»Es beißt jedenfalls nicht.« Tommy wollte einen Witz machen, aber uns war nicht nach Lachen zumute. Behutsam fasste er das Buch mit zwei Fingern an und nahm es an sich.
Da geschah etwas Unglaubliches: Eine Schrift erschien auf dem Buchrücken! Auf einmal leuchtete das Buch in fahlem Orange in Tommys Hand. Für einen kurzen Moment bekammein Freund einen Schreck. Doch es schien keine Gefahr von dem Leuchten auszugehen, und so behielt er das Buch in der Hand.
» Das Buch der Gaben … «, sagte Tommy leise, und wir alle lasen es im selben Moment. In reich verzierter feiner und altmodischer Schrift stand es auf dem Einband:
Das Buch der Gaben
Noch niemals war ich so aufgeregt gewesen. Dies war also der Schatz, den man uns offenbarte. Und er bestand nicht aus Gold oder Edelsteinen.
Tommys Haltung in der Hocke war ihm zu anstrengend, und er setzte sich bequem in den Schneidersitz. Und das taten wir dann auch.
»Was meint ihr? Soll ich … ?«, fragte er in die Runde.
»Nun mach schon!«, sagte ich ungeduldig. »Ich hab Hunger! Vielleicht kannst du uns etwas zu essen herzaubern!«
»Na, das geht bestimmt nicht!«, lachte Tommy. »Zaubern wäre zu einfach. Das, was man sich wünscht, muss man sich verdienen.«
Dann öffnete er das Buch und betrachtete die Seiten. Er blätterte ein wenig, und seine Augen wurden immer größer. Und auch wir versuchten etwas zu erhaschen.
»Was ist? Nun sag doch schon!«, rief Janine.
Tommy blätterte und blätterte.
»Hier vorne das kann ich lesen, aber weiter hinten stehen nur unverständliche Sachen in einer mir völlig fremdenSprache. Wer weiß, ob es so eine Sprache auf der Welt überhaupt gibt.«
»Was?« Ich konnte es nicht glauben.
»Aber ich werde euch das vorlesen, was ich entziffern kann.«
Und dann las er vor, was ich mein Leben lang nicht mehr vergessen werde.
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Vier Herzen braucht es
das Buch zu lösen
für die Phase eines Mondes
wird beseelt der Auserwählte
mit der Gabe
die zuerst er erwählt
doch wähle mit Bedacht
dies Buch muss wieder ruhen
an seinem Platz
ehe der Mond
seine Bahn beendet
sonst wird die Gabe
alle beseelen
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»Was bedeutet das alles?«, flüsterte Sanne. »Was soll das mit der Gabe? Ist das gefährlich?«
»Ich weiß es nicht«, gab Tommy zu. »Jedenfalls, vier Herzen, damit können nur wir gemeint sein. Diese Kammer hat sich für uns geöffnet.«
»Und dieses Buch ist für dich«, sagte Janine aufgeregt. »Du bist der Auserwählte.« Sie betrachtete ihn wie einen Fremden. »Aber warum?«
»Weil Tommy Mut hat. Er ist furchtlos, und er hat uns zusammengebracht«, sagte ich. »Auch wenn er es nicht bewusst getan hat. Aber ich glaube, dass das Haus auf Tommy gewartet hat. Schließlich war ich schon oft dort, und nichts ist da passiert.«
Ich hatte keine Zweifel, dass Tommy etwas Besonderes war, aber konnte das ausreichen, um eine fremde Macht dazu zu bringen, ihr jahrtausendealtes Geheimnis zu offenbaren?
»Meinst du wirklich, dass du eine Gabe bekommen wirst?« Janine war völlig fasziniert. »Welche würdest du wählen?«
Tommy senkte den Kopf.
»Ich habe vorhin bereits an etwas gedacht«, gab er zu. »Als ich die Zeilen vorgelesen habe, habe ich mir gewünscht, Gedanken lesen zu können.«
»Gedanken lesen?«, entfuhr es mir. »Warum das denn?«
»Weil … ich … « Tommy fiel es sichtlich schwer, weiterzusprechen. »Ich möchte so gern wissen, ob Jesse mich mag. Ich meine, so wie … «
Er verstummte. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff.
»So wie seinen
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