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Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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Ausweg !
    Sich in ein Ungeheuer verwandeln. So dass Regine glücklich von ihrer absonderlichen Liebe zu ihm befreit und den Erlöser Jesus Christus preisen würde, weil sie diesen Søren Kierkegaard losgeworden war. Wenn er sie dann verließ, würde es ihm erspart bleiben, sich schuldig zu fühlen.
    Es war sicher so, dass die Schuld gerade das Unumstößliche war. Und wenn er sich selbst in ein Pseudonym von monströsem Charakter verwandelte, wäre dann die Schuld nicht erträglich?
    Aber so kam es nicht.
    Dort vor dem Haus Sortedam Dossering 25 hatte Søren Kierkegaard sich vor einhundertfünfzig Jahren nach dem Aufbruch von Regine vorwärtsgequält, stolpernd und auf zittrigen Beinen.
    Regine hatte gewusst, wo er ging. Und war ihm entgegengegangen. Und so waren sie aneinander vorbeigegangen, siebenundvierzigmal in achtzehn Monaten, hatte er notiert. Und jedes Mal hatte sie eine kleine Kopfbewegung in seine Richtung gemacht, und er in ihre, und dann ein kleines Lächeln; und er wusste ja, dass sie inzwischen verheiratet war und dass sie diesen ihren ehemaligen Verlobten nicht treffen durfte, der sie im Stich gelassen hatte, so grausam!, dass ganz Kopenhagen Bescheid wusste. Aber war sie nicht in ihn eingebrannt worden, wie ein Brenneisen in ein Tier? So war es für Søren Kierkegaard mit der ersten Frau!
    Regine! Brenneisen!
    Sie gingen langsam auf dem Sandpfad und begegneten einander, und dann eine schnelle Drehung des Kopfes und vielleicht ein Lächeln, und sie wussten beide, dass dies das Verbotene war. Es war unendlich erregend. Es hieß, an die Grenze jener Zone zu rühren, wo Schuld und Lust einander umschlangen. Dann würden sie sich voneinander entfernen, und Regine würde diese verbotene Erregung weiter in ihrem Schoß fühlen, wissen, dass sie in ihn eingebrannt war. Und sie würde nach Hause gehen, zu dem Ehemann, der nichts ahnte, und die pochende Wärme würde sich halten zwischen ihren züchtigen Beinen, und Søren würde wissen, dass es so war, und sie würde wissen, dass er es wusste und dass er hierüber schreiben würde, wenn auch versteckt, versteckt!
    Der vollendete Beischlaf, der Geruch verbrannten Fleisches. Und jeden Tag schrieb er ihre Worte nieder und wiederholte sie, auch er eingefangen vom Fliegenfänger der Vorstellungskraft, es war immer das Gleiche, er kam nie weiter. Der Fliegenfänger war voll von den schreienden und zischenden sterbenden Worten. Jedes Wort hatte zwei Flügel, jeder Flügel hilflos, sie starben aneinandergeklebt, so waren die Worte der Liebe, sterbende Fliegen zusammengeklebt, und es wurde Herbst und Winter, und am Ende hing der vollbesetzte Fliegenfänger völlig still, keine heulenden Notrufe, er war eingefangen in sein und der Fliegen Schweigen. Regines Liebe stumm, wie Sørens.
    Er nimmt sich zusammen. Regine muss eines Tages vor ihm stehen bleiben und sagen:
    »Aber eins musst du mir versprechen. Und zwar, niemals jemandem etwas zu erzählen. Niemals niemandem, nie und nimmer.«
    Und dann würde er sagen:
    »Ja, ich verspreche es.«
    »Bestimmt?«, würde sie dann sagen.
    »Bestimmt.«
    Aber vielleicht einmal darüber schreiben. Das verboten Niedergeschriebene war auf seine Weise das Einzige, was niedergeschrieben werden musste. Die zusammengeklebten Fliegen wenden ihm ihre sterbenden Augen zu, flüstern: War dies die Liebe? Können wir nie mehr loskommen?
    *
    Sie hatten sich im Mai 2011 auf dem Rasen vor dem Larssonhof in der Sonne getroffen. Die Vettern und Kusinen und ihre Kinder, und er und der Sohn Mats. Die beiden Letztgenannten waren mit der Neun-Uhr-Maschine heraufgekommen.
    Das eigentümliche Gefühl von Unschuld in der Luft.
    Es gab nur zwei Häuser am Bursjö: Gammelstället, den Familienhof, das Haus, in dem Großmutter Johanna regiert hatte, und den Larssonhof. Sie lagen am Waldrand, unterhalb erstreckte sich eine Wiese bis zum See. Als er den See sah, fiel das wirkliche Bild mit dem zusammen, das er geschaffen hatte, wenn er darüber schrieb.
    Es war ein bisschen erschreckend.
    Das, was er schrieb, wurde entweder eine Projektionsfläche, die etwas verbarg, oder machte es möglich, die Wahrheit zu sagen.
    Er wurde Bussjön ausgesprochen, der Name des Sees, auf dem sich in einer Augustnacht der Mann im Boot gezeigt und Håkan mitgenommen hatte, als wäre dieser fremde Mann, der da im Morgengrauen gerudert kam, der Fliegende Holländer. Er war gekommen, um Håkan zu holen; und das hatte es mit sich gebracht, dass er selbst nie akzeptiert hatte, dass

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