Das Buch der Gleichnisse
das in die Eisdecke der Burebucht gehackte Loch quetschte.
Es war im Sommer, im Juni, gegen fünf Uhr, als sie von Lindesberg aufbrachen. Der Sarg passte beinahe nicht auf den Pickup und ragte weit nach vorn zwischen Onkel Ansgar und den Jungen, der auf dem Beifahrersitz saß. Die Fahrt dauerte ziemlich lange, denn der Pickup war langsam. Es war warm und begann süßlich nach der Tante zu riechen. Sie mussten mit geöffneten Fenstern fahren. Zuerst hatte sie rosige Wangen gehabt, danach graue, dann gelbe. Als sie an der Grenze stand, hatte sie vor Onkel Birger Zeugnis abgelegt, außerdem, ohne es zu wissen, vor dem Sohn der Schwägerin, der hinter dem Schrank stand.
Eigentlich hatte sie dem lauschenden Halbwüchsling, der jetzt im Jahre 2012 am Ufer des Flusses wartet und Gottes Hecheln im Nacken spürt, zu verstehen gegeben: Ich bin zu der Gewissheit gelangt, dass es einfach leer ist. Das hatte sie dem Jungen gewissermaßen gesagt. So war es, als Tante Valborg sich an der Grenze befand und sie überschritt, nachdem sie Gewissheit erlangt hatte.
Leer und schwarz. Man sollte nichts anderes erwarten. Das war es, was sie Onkel Birger zugeflüstert hatte.
Sie wusste es ja. Sie, die sich unmittelbar vor der Grenze befand.
Er hatte, versteckt hinter dem Schrank links von der Tür in Verners guter Stube, die nie benutzt wurde außer am Weihnachtstag, gelauscht.
Es war nicht zu fassen! Aber wenn er später zurückdachte, als er selbst sich auf der Flucht befand und ein ums andere Mal von seiner Witterung abgeschreckt wurde, dann war es Tante Valborgs Zeugnis, während er hinter dem Schrank stand, das am häufigsten in seiner Erinnerung auftauchte.
Tante Valborg hatte gesagt, der Erlöser habe sie im Stich gelassen und sich nie um sie gekümmert. Da hatte Onkel Birger zu flennen begonnen, weil er daran dachte, welche ewigen Qualen dies auf Tante Valborg herabbringen würde. Also vielleicht kochendes Öl, von dem der heimlich lauschende Junge bezeugen konnte, dass es tierisch weh tat, weil er selbst einmal etwas davon auf die rechte Hand bekommen hatte, ja wirklich tierische Schmerzen, und dann noch in alle Ewigkeit. Da war Tante Valborg richtig böse und beinahe giftig geworden, und obwohl sie auf vermutlich zweiundvierzig Kilo Gewicht geschrumpft war und fast jämmerlich wirkte, hatte sie Onkel Birger direkt ins Schwarze des Auges, beide Augen übrigens, geblickt und gesagt, denn das hatte sie ja schon gesagt, sie glaube nicht daran, dass es das mit dem Erlöser Jesus Christus gebe. Aber wenn es ihn doch gebe, dann sei er ein Wesen von solcher Bosheit, dass sie für ihr Teil nichts damit zu tun haben wolle.
Glatt ins Gesicht. Ihr kriegt mich nicht auf die Knie .
Und dies, obwohl sie sich nicht mehr weit vom Fluss befand, so nahe, dass sie fast zur anderen Seite hinüberäugen konnte, wie wenn jemand in den heiligen Stand eintrat und die Jungen des Dorfes am Fenster äugten, aber nichts hatte sie gesehen dort an der Grenze. Ihr ganzes Leben lang hatte sie vom Erlöser nicht die Spur gesehen. Und dort in der guten Stube – die Augen fest auf’m Birger seine mächtige Gestalt gerichtet, die von seinem Kopf gekrönt wurde, mit diesen zwei tränenerfüllten Augen! – hatte sie gesagt: Mich kriegt er nie auf die Knie. Und sie hatte nicht Onkel Birger gemeint.
Dass sie es wagte!
Er selbst hatte hinter dem Schrank in den unfassbaren Mut der sterbenden Leugnerin geäugt, und mitnichten hatte er vorher an Tante Valborg als eine Heldin gedacht, nein. Zum ersten Mal hatte er jetzt erlebt, dass die Leugnung möglich war. Obwohl sie gelb aussah. Und nicht einmal halb so viel wog wie der mächtige Onkel Birger.
Der Vater, de Elof, sein eigener Vater, hatte sich in den letzten Jahren seines Lebens bekehrt und war aufgehoben im Glauben an seinen Erlöser entschlafen, was durch den Nachruf im Norran voll und ganz bestätigt wurde. Aber die neun herausgerissenen Blätter des Notizblocks! Wenn nun dort etwas gestanden hatte, was Tante Valborgs schwindelerregendem Mut dicht an der Grenze glich, wenn nun der Vater dort eine Leugnung verfasst und niedergeschrieben hatte!
War auch er der Verneinung nahe gewesen? Hatte er erkannt, dass es leer war jenseits des Flusses, und dies niedergeschrieben? Als Botschaft?
War er vielleicht derjenige, der die neun Seiten herausgerissen hatte? Nahe der Grenze! Am Ufer des Flusses! Und sich dann mit Entsetzen der ewigen Strafen entsonnen und einen Rückzieher gemacht hatte? Es nicht gewagt
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