Das Buch der Illusionen
Restaurants zu essen - das war ein kostspieliges Unternehmen, aber ausnahmsweise hatte ich diesmal keinen Anlass zur Sorge darüber, ob ich mir das, was ich tun wollte, überhaupt leisten konnte. Verzweifelt und unglücklich, wie ich war, war ich auch ein freier Mann, und da ich Gold in den Taschen hatte, konnte ich die Bedingungen dieser Freiheit selbst festlegen.
Die Hälfte der Filme befand sich an Orten, die ich von zu Hause aus mit dem Auto erreichen konnte. Rochester lag ungefähr sechs Stunden westlich, New York ebenso wie Washington genau südlich - die erste Etappe etwa fünf Stunden, dann noch mal fünf für die zweite. Ich beschloss, mit Rochester anzufangen. Der Winter stand vor der Tür, und je länger ich die fährt dorthin aufschob, desto größer wurde das Risiko, in Sturm und Glatteis zu geraten und im rauen nördlichen Wetter stecken zu bleiben. Am nächsten Morgen rief ich im Eastman House an und fragte, ob ich mir die Filme dort im Archiv ansehen könne. Ich hatte keine Ahnung, wie so etwas zu arrangieren sei, wollte aber, als ich mich am Telefon vorstellte, nicht allzu unwissend erscheinen und fügte daher hinzu, ich sei Professor am Hampton College. Damit hoffte ich, die Leute dort hinreichend zu beeindrucken, dass sie mich für einen ernsthaften Menschen hielten und nicht für irgendeinen Irren, der einfach so bei ihnen anrief, was ja im Grunde der Fall war. Ach, sagte die Frau am anderen Ende der Leitung, Sie schreiben also etwas über Hector Mann? Sie stellte die Frage so, als gäbe es nur eine einzige mögliche Antwort darauf, und nach einer kleinen Pause brummte ich die Worte, die sie zu hören erwartete. Ja, sagte ich, richtig, stimmt genau. Ich schreibe ein Buch über ihn, und zu meinen Recherchen gehört auch, dass ich mir seine Filme ansehe.
Und damit hatte das Projekt angefangen. Es war gut, dass dies so früh geschah, denn als ich die Filme in Rochester (Der Jockeyclub und Der Schnüffler) erst einmal gesehen hatte, stand für mich fest, dass es keine Zeitverschwendung war, was ich da trieb. Hector war in jeder Hinsicht so talentiert und vielseitig, wie ich es mir erhofft hatte, und wenn die anderen zehn Filme auf dem gleichen hohen Niveau wie diese beiden waren, verdiente er, dass ein Buch über ihn geschrieben wurde, verdiente er die Chance, neu entdeckt zu werden. So kam es, dass ich mir Hectors Filme von Anfang an nicht nur ansah, sondern sie studierte. Ohne dieses Telefonat mit der Frau in Rochester wäre mir das nie in den Sinn gekommen. Mein ursprünglicher Plan war viel einfacher gewesen, und ich bezweifle, dass ich mich über Weihnachten oder Neujahr hinaus damit beschäftigt haben würde. So aber wurde es Mitte Februar, bis ich mein Studium von Hectors Filmen abgeschlossen hatte. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, mir jeden seiner Filme nur einmal anzusehen. Nun aber sah ich sie mir alle mehrmals an, und statt mich nur für wenige Stunden in einem Archiv aufzuhalten, saß ich dort tagelang, studierte die Filme auf Projektoren und an Schneidetischen, beobachtete Hector ganze Vor- und Nachmittage lang, spulte die Kopien vor und zurück, bis ich die Augen nicht mehr offen halten konnte. Ich machte mir Notizen, konsultierte Bücher, schrieb erschöpfende Kommentare über Schnitttechnik, Kamerawinkel und Beleuchtung, analysierte sämtliche Aspekte jeder einzelnen Szene bis zu den nebensächlichsten Einzelheiten, und erst wenn ich mit alldem fertig war, wenn ich so lange mit dem Material gelebt hatte, dass ich jeden Zentimeter dieser Streifen auswendig kannte, reiste ich weiter.
Ob der Aufwand sich lohnte, fragte ich mich nicht. Ich hatte meine Aufgabe, und für mich zählte nur, daran festzuhalten und sie zu Ende zu bringen. Ich wusste, Hector war allenfalls eine Randgestalt, ein weiterer Name auf der Liste der Übergangenen und Durchgefallenen, aber das hielt mich nicht davon ab, sein Werk zu bewundern und mich an seiner Gesellschaft zu erfreuen. Seine Filme waren im Lauf eines einzigen Jahres entstanden, jeden Monat einer, mit winzigen Budgets weit unterhalb der Beträge, die sonst für die spektakulären Gags und atemberaubenden Sequenzen, wie man sie gemeinhin aus Stummfilmkomödien kennt, aufgebracht wurden; und so war es schon ein Wunder, dass er überhaupt etwas hatte produzieren können, zu schweigen von ganzen zwölf absolut sehenswerten Filmen. Nach dem, was ich gelesen hatte, hatte Hector als Requisiteur, Kulissenmaler und Gelegenheitsstatist in Hollywood
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