Das Buch der Lebenskunst
kann man nicht machen. Wunder geschehen vor allem dort nicht, wo Menschen hektisch hin- und herlaufen, wo sie etwas erzwingen wollen. Wunder geschehen dort, wo jemand warten kann. Das Wunder der Blüte kann nur derjenige beobachten, der darauf wartet wie der Gärtner. Der Gärtner bereitet mit seiner Arbeit dem Frühling den Weg, aber er kann ihn keinen Augenblick früher herbeiführen. Der Frühling kommt, wann er will. Der Gärtner kann nur dabeistehen und warten.
Mit dem Warten tun sich heute viele Menschen schwer. Sie meinen, alles müsse in möglichst kurzer Zeit vollbracht werden. Doch wo etwas wirklich wachsen soll, braucht es das geduldige Warten. Beziehungen zwischen Menschen brauchen Zeit zum Wachstum. Ein Gruppenprozess braucht Zeit. Vie le Firmen beugen sich heute dem Druck, innerhalb von zwei Jahren Erfolge vorzuweisen. Doch sind diese oft nur kurzfristig. Was in zu kurzer Zeit erworben wurde, geht auch schnell wieder verloren.
Wachstum braucht Zeit. Das gilt auch für den Wachstumsprozess des Einzelnen. Nur wer geduldig ist mit sich selbst, wer warten kann, wird auch die Früchte seines Reifens ernten.
ARBEIT UND SINN
Für den heiligen Benedikt, der als Vater des abendländischen Mönchtums an der Wiege unserer Kultur steht, ist es wichtig, dass die Mönche sich durch ihre Arbeit selbst ernähren können. Diese Erfahrung gibt ihnen das Gefühl innerer Freiheit. Wenn ich von Wohltätern abhängig bin, werde ich unfrei. Und ich bekomme das Gefühl, dass ich gar nicht selber lebe, sondern gelebt werde. Ich werde von anderen bestimmt. Wer sein Leben selbst in die Hand nimmt, der hat auch Lust an diesem Leben. Arbeit heißt, das Leben selber zu gestalten, kreativ zu sein, etwas Neues zu schaffen. Arbeit ist demnach weniger Last und Mühsal als vielmehr innere Zufriedenheit und Freude. Als einem Goten, der offensichtlich starke Mus keln, aber wenig Verstand hatte, die Axt beim Roden ins Wasser fiel, kommt ihm Benedikt zu Hilfe. Er hält den Holzstiel ins Wasser und sogleich kommt das Beil aus der Tiefe des Wassers nach oben und fügt sich wieder an das Holz. Benedikt gibt dem Goten die Axt zurück mit dem Wort, das die Benediktiner seither über ihre Arbeitsstätten schrieben: „Arbeite und sei nicht traurig!“ Die Arbeit ist offensichtlich für den Goten Grund zur Freude. Er fühlt sich dabei am Leben. Er weiß sich gebraucht. Das tut seiner Seele gut.
Mit ihrer Arbeit sollen die Mönche nicht nur für sich selbst sorgen, sondern auch für andere. Jede Arbeit dient anderen Menschen. Das gilt nicht nur für den heute immer größer werdenden Sektor der Dienstleistungen. Auch wenn eine Firma gute Autos herstellt, dient sie damit den Menschen. Die Menschen können sich auf die Autos verlassen. Und sie haben ihre Freude daran und brauchen keine Angst zu haben, dass ihnen unterwegs der Motor auseinanderfällt.
Der Busfahrer, der pünktlich abfährt und sicher den Bus steuert, dient den Menschen. Auch wenn er die Passagiere nicht kennt, so sorgt er sich doch darum, dass sie rechtzeitig ans Ziel kommen. Nicht nur die Krankenschwester und der Arzt, nicht nur der Seelsorger und der Therapeut dienen den Menschen. Bei ihnen spürt man, dass ihre Arbeit den Sinn hat, Menschen zu helfen, sie zu heilen und aufzurichten. Doch auch jeder, der seine Arbeit gut verrichtet, dient damit den Menschen.
Wir alle leben vom Dienst anderer. Dass sich ein anderer freut über die Zuverlässigkeit meiner Arbeit, ist mir Motivation genug, sorgfältig zu arbeiten.
DIE ARBEIT UND DAS EGO
„Es gibt zwei Sorten von Menschen: diejenigen, die die Arbeit machen.
Und diejenigen, die den Ruhm beanspruchen. Versuche zur ersten Gruppe zu gehören; dort ist das Gerangel weniger schlimm.“
Die Tochter eines berühmten Politikers, die selber hohe Leistungen aufzuweisen hat, hat dies gesagt: Indira Gandhi. Sie trifft sich in ihrer Einschätzung - über die Zeiten und Kulturen hinweg - mit einem anderen Menschenkenner.
Schon der heilige Benedikt hat das nämlich in seiner Regel angeprangert. Wer mit seiner Arbeit Ruhm beansprucht, der ist nicht wirklich bei der Arbeit. Er benutzt die Arbeit, um sich in den Mittelpunkt zu stellen. Wer sich mit seiner Arbeit interessant macht und sich über die anderen stellt, der soll nach dem Willen Benedikts abgesetzt werden und eine andere Arbeit bekommen. Denn - so meint Benedikt - von seiner Arbeit gehe kein Segen aus. Seine Arbeit ist kein schöpferischer Prozess mehr, sondern nur noch Mittel zum
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