Das Buch der Lebenskunst
ich selber bin. Ich bin bei mir. Ich bin einfach da. Das ist die Bedingung, um Ruhe finden zu können. Denn Ruhe heißt einfach: da sein, ruhen, im Einklang mit sich sein, im Frieden den Augenblick genießen.
NICHT-RICHTEN
Ein Kennzeichen, ob die Askese den Mönch zu Gott geführt hat, ist das Nicht-Richten. Wenn ein Mönch noch so streng fastet und noch so hart arbeitet, dann taugt das alles nicht, wenn er trotzdem noch andere richtet. Die Askese hat ihn dann nur dazu geführt, dass er sich über andere erheben kann. Sie hat der Befriedigung seines Stolzes gedient, der Steigerung seines Selbstwertgefühls. Wer in seiner Askese sich selbst begegnet ist, wer es ausgehalten hat, im Kellion zu bleiben, wenn das Verdrängte hochkommt, dem ist jedes Richten über andere vergangen.
So mahnen viele Vätersprüche dazu, bei sich zu bleiben, sich mit der eigenen Wahrheit zu konfrontieren und nicht über andere zu richten.
„Der Altvater Poimen bat den Altvater Joseph: ‚Sage mir, wie ich Mönch werde.’ Er antwortete: ‚Wenn du Ruhe finden willst, hier und dort, dann sprich bei jeder Handlung: Ich - wer bin ich? Und richte niemand?’“
URTEILE NICHT
Andere nicht zu richten ist für die Wüstenväter auch eine Hilfe, die eigene innere Ruhe zu finden. Wenn wir aufhören, andere zu verurteilen, tut uns das selber gut.
„Abbas Poimen wurde von einem Bruder gefragt: ‚Was soll ich tun, Vater, denn ich werde von Traurigkeit niedergeschlagen?’ Der Greis antwortete ihm: ‚Schaue niemand für nichts an, verurteile niemand, verleumde niemand, und der Herr wird dir Ruhe geben.’“
Das Urteilen verschafft uns keine Ruhe. Denn indem wir den andern verurteilen, spüren wir unbewusst ja doch, dass wir auch nicht perfekt sind. So ist der Verzicht auf das Urteilen und Richten ein Weg zum inneren Frieden mit uns selbst. Wir lassen die andern sein, wie sie sind, und können auf diese Weise auch wir selber sein.
„Ein Altvater wurde einmal von einem Bruder gefragt: ‚Warum urteile ich eigentlich so häufig über meine Brüder?’ Und er antwortete ihm:
‚Weil du dich noch nicht selbst kennst. Denn wer sich selber kennt, der sieht die Fehler der Brüder nicht.’“
SCHWEIGEN ALS WEG
Das Schweigen ist der Weg, sich selbst zu begegnen und die Wahrheit des eigenen Herzens zu entdecken. Schweigen ist aber auch der Weg, frei zu werden vom ständigen Beurteilen und Verurteilen der andern. Wir sind ja immer in Gefahr, jeden Menschen, dem wir begegnen, zu bewerten, einzuschätzen, zu beurteilen. Und oft genug finden wir uns dabei wieder, dass wir ihn verurteilen und richten. Schweigen aber hindert uns zu richten. Es konfrontiert uns immer wieder mit uns selbst. Es verbietet uns den Weg, unsere Schattenseiten auf die andern zu projizieren.
DISTANZ UND NÄHE
Gedanken und Gefühle können unser Leben bestimmen. Wir können uns von Ärger und Ressentiments bestimmen lassen. Wichtig ist, dass wir unsere Gefühle ernst nehmen, dass wir sie nicht gleich bewerten. Sie haben alle ihren Sinn. Auch Ärger und Wut haben ihren Sinn. Es kommt nur darauf an, angemessen damit umzugehen. Aggressionen wollen das Verhältnis von Nähe und Distanz regeln. Wenn wir also aggressiv werden, ist es immer ein Zeichen, dass wir mehr Distanz brauchen, dass wir andern zu viel Macht über uns gegeben haben.
Ich kenne auch selber die Erfahrung, dass ich meine Gefühle fromm entwerte. Wenn ich in einem Beichtgespräch Ärger spüre, weil es so zäh geht, dann reiße ich mich zusammen und sage mir: „Der andere kann nichts dafür. Ich bin Priester, und ich bin freundlich.“ Doch ein Mitbruder sagte mir - zu Recht - einmal: „Nimm deinen Ärger ernster, sonst wirst du ärgerlich auf alle Menschen.“
Ich kenne Menschen, die in ihrer Jugend begeistert waren - und auf einmal pessimistisch und destruktiv werden. Der Grund dafür: Sie haben jahrelang ihren Ärger nicht ernst genommen und sind nun auf alle und alles ärgerlich geworden. So weit sollten wir es nicht kommen lassen. Das schulden wir den anderen - und uns selber.
WUT TUT GUT - ZORN ZERREIßT
Wut ist oft eine wichtige Kraft, um uns von negativen Erinnerungen zu befreien und um Menschen aus uns herauszuwerfen, die uns verletzt haben. Solange wir um die Verletzung kreisen, geben wir denen, die uns verwundet haben, Macht über uns. Manche wühlen da ständig in ihren eigenen Wunden. Da ist Wut eine ganz wichtige Kraft. Wenn ich Wut empfinden kann gegenüber dem, der mich verletzt hat, dann
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