Das Buch der Lebenskunst
Gewand.“
Dem Menschen ist die Sehnsucht ins Herz gesenkt. Sie treibt ihn hinaus in diese Welt, um ihre Schönheit zu entdecken und in ihrer Schönheit und hinter allen Dingen Gott selbst zu suchen. Ein Weg, bis an unserer Sehnsucht Rand zu gehen, ist die Musik. Die wunderbare Musik von Schubert geht bis an den Rand der Sehnsucht. Sie lässt die Sehnsucht hörbar werden. Und nur wenn die Sehnsucht Ausdruck findet, ist sie heilsam. Wenn wir unsere Sehnsucht nicht hörbar oder sichtbar werden lassen, dann flüchtet sie sich in die Sucht.
In einem anderen Gedicht definiert Rilke die Sehnsucht:
„Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge und keine Heimat haben in der Zeit.“
Die Sehnsucht besteht darin, dass wir mitten im Trubel dieser Zeit leben, dass wir mitten im Gewoge unserer unruhigen Lebensfahrt wohnen. Wie kann das gelingen: mitten im Gewoge wohnen. Die Sehnsucht ist wie eine Heimat mitten im Gewoge. Wenn wir der Musik lauschen, können wir erahnen, dass wir jetzt mitten im Gewoge unseres Lebens, mitten in unseren Konflikten, in unseren Enttäuschungen in unserer Sehnsucht wohnen können.
Martin Heidegger sagte einmal: „Schauen führt in die Freiheit, Hören in die Geborgenheit.“ Durch die Musik entsteht ein Raum der Geborgenheit, in dem wir wohnen können. Wer so in seiner Sehnsucht wohnt, der spürt, dass die Sehnsucht sein Herz weit macht, dass er eine neue Form von Lebendigkeit in sich entdeckt. Aber gleich nach dem schönen Wort vom Wohnen im Gewoge sagt Rilke, dass wir in der Zeit keine Heimat haben. In der Zeit können wir uns nicht einrichten. Wir können die Zeit nicht anhalten. Sie verweist uns auf eine jenseitige Heimat, auf eine Heimat, die erst dann entsteht, wenn hier Himmel und Erde zusammenfallen, Zeit und Ewigkeit.
WAS DIE WELT ÜBERSTEIGT
Wie können wir mit unserer Sehnsucht in Berührung kommen? Der eine Weg geht darüber, unser Leben anzuschauen und hinter allem die Sehnsucht zu entdecken, die in unseren Begierden, Süchten, Leidenschaften, Bedürfnissen, Wünschen, Hoffnungen steckt. Alles, was wir erleben, zu Ende zu denken, ihm auf den Grund zu gehen. Der andere Weg ist ein spiritueller. Wenn wir im Vaterunser beten: „Dein Reiche komme zu uns“, so brauchen wir nicht - sagt Augustinus - Gott anzuflehen, dass er endlich sein Reich kommen lasse, sondern wir stacheln in uns die Sehnsucht nach diesem Reich an. Die Psalmen sind für Augustinus Lieder der Sehnsucht. Indem wir sie singen, wächst in uns die Sehnsucht nach der wahren Heimat in Gott. Augustinus vergleicht das Psalmensingen mit dem Singen von Wanderern. Zur Zeit des Augustinus wanderte man bei Nacht, um der Gefährdung durch Räuber zu entgehen. Aber dafür stieg häufig Angst in den Wanderern hoch. Um sich die Angst zu vertreiben, sangen die Wanderer ihre Heimatlieder.
Augustinus zieht diesen Vergleich: So singen wir also hier in der Fremde, die Liebeslieder unseres Vaterlandes, um in uns die Angst vor der Dunkelheit zu überwinden und die Sehnsucht nach Gott anzustacheln.
Die höchste Form des Betens ist für Augustinus das Singen. Er hat eine eigene Theologie über das Singen entfaltet. „Cantare amantis est - singen ist Sache des Liebenden“. Singen kann nur, wer liebt. Das Singen führt den Menschen nach innen, in das „Intimum domus meae - in das Innerste meines Hauses“. Wenn du der Musik zuhörst, kommt der Klang der Geigen und Celli von außen auf dich zu. Aber das Singen führt dich in den inneren Raum, in dem du dich berührt fühlst, in dem du bei dir daheim, ganz und heil bist. Wenn du in diesem inneren Raum bei dir selbst angekommen und in diesem inneren Raum daheim bist, dann wird eine Sucht unnötig, die die Heimat des Paradieses außen sucht.
Wer mit sich selbst in Berührung kommt, spürt in sich etwas, das diese Welt übersteigt, und mitten im Gewirr dieser Welt Geborgenheit schafft.
DAS LETZTE ZIEL
Wenn wir mit allen Kräften nach Reichtum aus sind, so wird der Besitz unsere Sehnsucht nicht erfüllen. In der Suche nach Reichtum steckt die Sehnsucht nach Ruhe, dass wir endlich zur Ruhe kommen können. Aber das Fatale ist, dass der Besitz uns besessen macht, dass er uns noch mehr in die Unruhe treibt. Wenn wir nach Erfolg streben, so steckt dahinter letztlich die Sehnsucht, wertvoll zu sein. Aber wir wissen zugleich, dass kein Erfolg unsere Sehnsucht ganz zu stillen vermag.
Wir erfahren unseren letzten Wert erst in Gott. Jeder Mensch sehnt sich im Grunde danach, geliebt zu werden und
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