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Das Buch der Lebenskunst

Das Buch der Lebenskunst

Titel: Das Buch der Lebenskunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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Paradies zu verlassen. Wir bleiben im Mutterschoß zurück. Wir weigern uns, die Verantwortung für unser Leben zu übernehmen. Wir wollen nicht erwachsen werden. Wir haben uns so daran gewöhnt, verwöhnt zu werden, dass wir nicht bereit sind, uns dem Leben mit seinen Herausforderungen zu stellen. Wir bleiben im Konsumieren stecken, anstatt uns aufzumachen, um das Leben in die Hand zu nehmen.

    NIMM DEIN LEBEN IN DIE HAND
    Gerade weil mich meine Sehnsucht lehrt, die Realität anzunehmen, wie sie ist, verlangt sie nach Disziplin. Denn zur Realität meines Lebens gehört es, dass ich mein Leben lang ein Lernender, ein discipulus, ein Schüler, bin. Die Sucht verlängert das Verwöhntwerden, das Bleiben im Mutterschoß. Die Disziplin führt mich in das Leben ein. Sie lehrt mich, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, mir klare Ordnungen zu geben. Disziplin meint im Lateinischen die Lehre, den Unterricht, aber auch die Zucht, die Ordnung und die Methode, mit der ich an etwas herangehe. Manche meinen, es komme von discere = lernen. Aber vermutlich ist die Wurzeln capere = nehmen. Es kommt dann von discipere = zergliedern, um zu erfassen. Ich nehme etwas in die Hand. Ich gliedere es, ich teile es auf, um es zu verstehen, um zu sehen, was darinnen ist. Disziplin ist nicht etwas Passives, dem ich mich unterwerfe, sondern etwas Aktives. Ich nehme mein Leben in die Hand. Ich schaue es mir an und überlege, wie ich es so gliedern kann, dass ich wirklich lebe, dass ich selber lebe, anstatt gelebt zu werden.

    LEERE INMITTEN DER FÜLLE
    Menschen, die alles erreicht haben, wonach sie sich sehnen, werden oft von einem Gefühl innerer Leere heimgesucht. „Der eine mag zum Fußballer des Jahres ernannt werden, der andere summa cum laude promovieren, das Herz des perfekten Partners gewinnen oder so viel Geld verdienen, dass er oder sie den schon immer erstrebten Lebensstil finanzieren kann.“ (Christina Grof) Doch inmitten all der Fülle bleibt die innere Leere, und die Sehnsucht nach etwas ganz anderem wird sogar noch größer.
    Nichts Irdisches, kein Erfolg, kein geliebter Mensch kann unsere innere Unruhe beruhigen. Wir werden erst zur Ruhe kommen, wenn wir die innere Quelle finden, die nie versiegt, die Geborgenheit und Heimat, aus der wir nie vertrieben werden, und eine Liebe, die sich nie auflöst und uns nicht zwischen den Fingern zerrinnt.

    ERKAUFTE TRÄUME
    Nur was angenommen wird, kann erlöst werden, sagen die Kirchenväter. Wir dürfen also unsere Sucht nicht verurteilen, sonst verfolgt sie uns immer. Wir können gegen sie nicht direkt ankämpfen, sonst entwickelt sie eine zu starke Gegenkraft. Wir sollten die Sucht nach der Sehnsucht befragen.
    Wonach sehne ich mich, wenn ich zu viel Alkohol trinke? Ich möchte der Banalität des Alltags entfliehen, ich möchte ein anderes Gefühl haben, ich möchte mich über die Niederungen des Alltags erheben, um in einer gehobenen Stimmung die Welt schöner und gefälliger erleben zu können.
    Andre Gide sieht den Grund unseres Trinkens darin, dass wir uns den Traum von einer Sache erwerben möchten, weil wir die Sache selber nicht bekommen können. Wir erkaufen uns im Trinken den Traum vom Glück, weil wir dem Glück vergebens nachlaufen. Doch Gide macht die traurige Erfahrung: „Das Furchtbare ist, dass man sich nie genügend betrinken kann.“ Das Trinken wird meine Sehnsucht nie wirklich stillen.
    Im Trinken werde ich immer nur von dem Glück träumen, nach dem ich mich sehne. Aber ich werde dabei immer unglücklicher. Ich verzichte darauf, konkrete Wege zu gehen, die mich dem Glück näher bringen könnten.
    Wonach sehne ich mich, wenn ich nicht von der Arbeit loskomme? Ich decke das seelische Loch zu, das entstehen würde, wenn ich nichts zu tun hätte. Ich laufe vor mir selbst davon. Ich kann mich selbst nicht aushalten. Ich kann es nicht ertragen, wenn ich in der Stille mir selbst und meiner Wahrheit begegnen würde. Oder ich sehne mich nach Anerkennung. Deshalb leiste ich immer mehr, damit man mich nicht übersehen kann. Ich sehne mich nach Beziehung, um mich spüren zu können, um zu erfahren, dass ich liebenswert bin. Ich möchte bedingungslos angenommen sein, mich selbst annehmen und lieben können.
    Es geht darum, meine Süchte zu Ende zu denken. Wenn ich die gehobene Stimmung durch den Alkohol bekomme, ist das schon alles?
    Oder sehne ich mich nicht nach mehr? Sehne ich mich nicht nach einer ganz anderen Wirklichkeit, nach der Wirklichkeit des Geistes?

    IN

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