Das Buch der Schatten 2
rauchenden Asche ragt. Mein kleiner Dagda. Mein Vater.
O Göttin, ich werde krank, meine Seele zerbricht. Ich ertrage diesen Schmerz nicht.
– Bradhadair
An diesem Abend versuchten meine Eltern, sich beim Abendessen ganz normal zu verhalten, doch ich sah sie immer wieder mit fragenden Augen an, und beim Nachtisch starrten wir alle auf unsere Teller. Mary K. kam mit diesem Schweigen offensichtlich nicht gut zurecht, und sobald das Abendessen vorbei war, ging sie hinauf in ihr Zimmer und hörte laut Musik. Die Decke bebte förmlich, was hieß, dass sie ihren Stress einfach wegtanzte.
Ich fand es schier unerträglich, zu Hause zu sein. Wenn Cal doch seiner Mutter nicht helfen müsste. Aus einer Eingebung heraus rief ich Janice an und traf mich mit ihr, Ben Reggio und Tamara im Kino oben in Red Kill. Wir sahen uns einen bescheuerten Actionfilm an,
bei dem sich die Helden andauernd gegenseitig mit dem Motorrad verfolgten. Während ich in dem dunklen Kinosaal saß, dachte ich die ganze Zeit: Mùirn beatha dàn.
Am Samstagmorgen – nachdem ich am Freitag immer noch nichts über meine Vergangenheit erfahren hatte – ging Dad hinaus, um das Laub zusammenzurechen und die Sträucher und Bäume zurückzuschneiden, damit sie bei den Eisstürmen im Winter nicht kaputtgingen. Mom verließ nach dem Frühstück das Haus, um zu ihrem Frauenkreis in die Kirche zu gehen.
Ich zog meine Jacke an und ging zu meinem Vater in den Garten.
»Wann wollt ihr endlich mit mir reden?«, fragte ich ihn ohne Umschweife. »Oder wollt ihr ewig so tun, als wäre nichts passiert?«
Er hielt inne und stützte sich einen Augenblick auf den Rechen. »Nein, Morgan«, sagte er schließlich. »Das können wir nicht, auch wenn wir es gern würden. « Seine Stimme klang aufrichtig, und wieder spürte ich, wie sich ein Teil meines Zorns in Luft auflöste. Doch ich war fest entschlossen, die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen, und trat in einen kleinen Laubhaufen.
»Und?«, wollte ich wissen. »Wo habt ihr mich her? Wer sind meine leiblichen Eltern? Habt ihr sie gekannt? Was ist aus ihnen geworden?«
Dad zuckte zusammen, als täten meine Worte ihm körperlich weh.
»Ich weiß, dass wir darüber reden müssen«, sagte er, seine Stimme jetzt dünn und kratzend. »Aber … ich brauche noch Zeit.«
»Warum?« Ich ging förmlich in die Luft, warf mit den Armen um mich. »Worauf wartet ihr denn noch?«
»Es tut mir leid, Schatz«, sagte er und senkte den Blick zu Boden. »Ich weiß, dass wir in den vergangenen sechzehn Jahren viele Fehler gemacht haben. Wir haben versucht, unser Bestes zu tun. Aber Morgan«, er sah mich an, »wir haben es sechzehn Jahre lang begraben. Es ist nicht leicht, das Ganze ans Licht zu zerren. Ich weiß, dass du Fragen hast, und ich hoffe, wir können dir die Antworten darauf geben. Aber es ist nicht leicht. Und am Ende wünschst du dir womöglich, du hättest es nie erfahren.«
Ich starrte ihn mit offenem Mund an, dann schüttelte ich ungläubig den Kopf und ging zurück ins Haus. Was sollte ich nur machen?
Am Samstagabend fuhr ich Mary K. zu ihrer Freundin Jaycee. Sie wollten zusammen mit Bakker und ein paar anderen ins Kino gehen. Ich war mit unserem Hexenzirkel bei Matt zu Hause verabredet.
»Wo ist Bakkers Auto?«, fragte ich, als ich bei Jaycee zu Hause vorfuhr.
Mary K. verzog das Gesicht. »Seine Eltern haben es ihm für eine Woche weggenommen, weil er eine Prüfung in Geschichte vermasselt hat.«
»O schade«, sagte ich. »Also, amüsier dich gut. Und tu nichts, was ich nicht auch tun würde.«
Mary K. verdrehte die Augen. »Okay«, sagte sie trocken. »Notiz an mich: Versuch nicht, nackt zu tanzen oder Hexerei zu betreiben. Danke fürs Herbringen.« Sie stieg aus und schlug die Tür zu, und ich blickte ihr hinterher, bis sie in Jacees Haus verschwand.
Seufzend machte ich mich auf den Weg zu Matt, folgte dabei seiner Wegbeschreibung in die Randbezirke der Stadt. Zehn Minuten später parkte ich vor einem niedrigen modernen Backsteinhaus. Jenna ließ mich ein.
»Hey!«, sagte sie strahlend. »Komm rein. Wir sind im Wohnzimmer. Ich weiß gar nicht … Warst du schon mal hier?«
»Nein«, sagte ich und hängte meinen Mantel an einen Haken. »Sind Matts Eltern da?«
Jenna schüttelte den Kopf. »Sein Vater hat einen Medizinkongress in Florida und seine Mutter ist mitgefahren. Wir haben die ganze Bude für uns.«
»Cool«, meinte ich und folgte ihr. Wir bogen nach links in ein großes Wohnzimmer,
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