Das Buch der Schatten 2
verpflichtet bist, mit ihm ins Bett zu gehen. Du hast das eine gemeint, er hat das andere verstanden. Schlimm ist, dass er sich wie ein Arschloch verhalten hat. Ich hätte die Polizei rufen sollen.«
Mary K. schniefte und löste sich aus der Umarmung. »Ich glaube nicht, dass er … mir wehgetan hätte«, sagte sie. »Ich glaube, es hat schlimmer ausgesehen, als es war.«
»Unglaublich, dass du ihn auch noch verteidigst!«
»Tue ich nicht«, erwiderte sie. »Ich verteidige ihn nicht und ich bin eindeutig fertig mit ihm.«
»Gut«, sagte ich nachdrücklich.
»Aber es sah ihm wirklich nicht ähnlich«, fuhr Mary K. fort. »Er hat mich nie gedrängt, hat immer aufgehört, wenn ich nein gesagt habe. Morgen tut es ihm bestimmt total leid.«
Ich sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Mary Kathleen Rowlands, das reicht nicht. Mach bloß keine Ausflüchte für ihn. Als ich hier reinkam, hat er dich niedergedrückt!«
Sie runzelte die Stirn. »Ja.«
»Und er hat mir den Schläger aus der Hand gefegt«, fuhr ich fort. »Und hat uns angebrüllt.«
»Ich weiß«, sagte Mary K. und sah zornig aus. »Ich kann’s nicht glauben.«
»Das gefällt mir schon besser«, meinte ich und stand auf. »Versprich mir, dass du mit ihm Schluss machst.«
»Ich mache Schluss mit ihm«, wiederholte meine Schwester.
»Okay. Ich gehe mich jetzt umziehen. Du wäschst dir besser das Gesicht und räumst hier ein bisschen auf, bevor Mom und Dad heimkommen.«
»Okay.« Mary K. stand auf und schenkte mir ein mattes Lächeln. »Danke, dass du mich gerettet hast.« Sie umarmte mich.
»Gern«, sagte ich und wandte mich zum Gehen.
»Wie hast du ihn eigentlich aufgehalten? Er hat ›Au!‹ gesagt und ist gegen das Bett gefallen. Was hast du gemacht? «
Ich überlegte rasch. »Ich habe ihm in die Kniekehle getreten«, sagte ich. »Da hat er das Gleichgewicht verloren. «
Mary K. lachte. »Ich wette, damit hatte er nicht gerechnet. «
»Ich glaube, das hatten wir beide nicht«, sagte ich ehrlich. Dann ging ich, ein wenig zittrig, in mein Zimmer. Ich hatte einen Lichtstrahl auf jemanden geschossen. Das war bestimmt seltsam, selbst für eine Hexe.
15
WER ICH BIN
1. September 1982
Heute ziehen wir aus diesem Dreckloch weg in eine Stadt etwa drei Stunden nördlich von hier. Sie heißt Meshomah Falls. Ich glaube, Meshomah ist ein Indianerwort. Sie haben hier überall indianische Worte. Die Stadt ist klein und sehr hübsch, fast ein bisschen wie zu Hause. Wir haben schon Arbeit gefunden - ich als Bedienung in dem kleinen Café der Stadt und Angus bei einem ortsansässigen Zimmermann. Letzte Woche haben wir in dieser Stadt Leute in wunderlicher, altmodischer Kleidung gesehen. Ich habe einen Mann danach gefragt, und er sagte, sie gehörten zu den Amisch.
Angus ist letzte Woche aus Irland zurückgekommen. Ich wollte nicht, dass er geht, und ich konnte bis jetzt nicht darüber schreiben. Er ist nach Irland geflogen und er war auch in Ballynigel. Von der Stadt ist nicht viel übrig. Alle Häuser, in denen Hexen gelebt haben, sind bis auf die Grundmauern abgebrannt und wurden nun völlig dem Erdboden gleichgemacht, um dort neu zu bauen. Er sagte, von uns ist niemand mehr übrig, er konnte niemanden finden. Drüben in Much Bencham hat er eine Geschichte über eine gewaltige dunkle Welle
aufgeschnappt, die die Stadt ausgelöscht hat, eine Welle ohne Wasser. Ich weiß nicht, was so etwas Gewaltiges, so etwas Mächtiges auslösen oder schaffen könnte. Vielleicht viele Hexenzirkel, die zusammengearbeitet haben. Ich hatte Angst, als er abreiste, und dachte, ich würde ihn nie wiedersehen. Er wollte heiraten, bevor er ging, und ich habe Nein gesagt. Ich kann niemanden heiraten. Nichts ist von Dauer, ich will mir nichts vormachen. Wie auch immer, er hat das Geld genommen, ist nach Hause gefahren und hat nichts als einen Haufen verbrannter, leerer Felder gefunden.
Jetzt ist er hier, und wir ziehen um, und in dieser neuen Stadt kann dann, so hoffe ich, ein neues Leben anfangen.
- M.R.
Am Nachmittag wollte ich mich darum kümmern, was aus meinen Wicca-Büchern geworden war. Ich legte mich aufs Bett und warf meine Sinne aus, tastete mich gewissermaßen durchs ganze Haus. Lange Zeit fand ich gar nichts, und ich dachte schon, ich würde nur meine Zeit vergeuden. Doch dann, nach ungefähr fünfundvierzig Minuten, spürte ich die Bücher im Schrank meiner Mutter auf, ganz hinten in einem Koffer. Ich schaute nach, und siehe da, sie waren genau dort. Ich
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