Das Buch der Schatten 2
Männer, die mich ins Gespräch zogen und wissen wollten, woher ich käme. Ich fing an zu erzählen, aber sobald ich Ballynigel erwähnte, wurden sie stumm. ›Warum wollen’sen des wissen? ‹, fragten sie misstrauisch. Ich sagte, ich mache für
die Reiseseite meiner Lokalzeitung Recherchen für eine Geschichte über kleine irische Küstenstädte.«
Ich starrte meinen Vater an, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass er auf der Suche nach meiner Geschichte munter Fremde angelogen hatte. Er hatte all das gewusst, beide hatten es gewusst, fast mein ganzes Leben lang. Und sie hatten es mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt.
»Um es kurz zu machen – ich fand schließlich heraus, dass Ballynigel bis vier Jahre zuvor tatsächlich eine kleine, blühende Stadt gewesen war. Doch 1982 war sie plötzlich zerstört worden. Vom Teufel zerstört, sagten sie.«
Ich bekam kaum Luft. Das war so ähnlich wie das, was Alyce erzählt hatte. Meine Mutter kaute nervös an der Unterlippe, ohne mich anzusehen.
»Sie sagten, Ballynigel sei eine Stadt der Hexen gewesen, die meisten Bewohner seien Nachkommen von Hexen gewesen, seit Tausenden von Jahren. Sie nannten sie die alten Clans. Sie sagten, der Teufel wäre aufgestiegen und hätte die Hexen zerstört, und sie wussten nicht, warum, aber sie wussten, dass man sich niemals mit einer Hexe einlassen sollte.« Dad hustete und räusperte sich. »Ich lachte und sagte, ich glaubte nicht an Hexen. Und sie sagten: ›Du bist vielleicht ein Dummkopf.‹ Sie sagten, es gäbe Hexen, und in Ballynigel habe ein mächtiger Hexenzirkel existiert, bis
zu der Nacht, da er zerstört worden war und mit ihm die ganze Stadt. Dann kam mir ein Gedanke und ich fragte: ›Ist jemand entkommen?‹ Sie sagten, ein paar Menschen. Menschen, nannten sie sie, als gäbe es da einen Unterschied. Ich fragte: ›Und Hexen?‹ Da schüttelten sie die Köpfe und sagten, wenn irgendwelche Hexen entkommen wären, wären sie niemals sicher, egal wohin sie gingen. Sie würden gejagt und früher oder später umgebracht.«
Doch zwei Hexen waren entkommen, sie waren nach Amerika ausgewandert. Wo sie drei Jahre später einen gewaltsamen Tod gefunden hatten.
Mom hatte aufgehört zu schniefen. Sie sah meinen Vater jetzt an, als hätte sie diese Geschichte viele Jahre lang nicht gehört.
»Ich bin heimgekommen und habe deiner Mutter alles erzählt, und, um ehrlich zu sein, wir hatten ganz schön Angst. Wir dachten daran, wie deine leiblichen Eltern ums Leben gekommen waren. Offen gestanden hat es uns einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Wir dachten, da draußen würde ein Psychopath rumlaufen, der diese Leute jagte, und wenn er von dir wüsste, wärst du in großer Gefahr. Also haben wir beschlossen, unser Leben zu leben, und haben nie wieder über deine Vergangenheit gesprochen.«
Ich saß da und verwob diese Geschichte mit dem, was Alyce mir erzählt hatte. In diesem Augenblick konnte
ich beinahe verstehen, warum meine Eltern das alles für sich behalten hatten. Sie hatten versucht, mich zu schützen. Mich vor dem zu beschützen, was meine leiblichen Eltern umgebracht hatte.
»Wir wollten deinen Vornamen ändern«, sagte Mom. »Aber in deinen Papieren stand Morgan. Also haben wir dir einen Kosenamen gegeben.«
»Molly«, sagte ich und es dämmerte mir. Bis zur vierten Klasse war ich Molly gewesen, doch dann hatte ich den Namen schrecklich gefunden und darauf bestanden, Morgan genannt zu werden.
»Ja. Und zu der Zeit, als du wieder Morgan sein wolltest, fühlten wir uns sicher«, sagte Mom. »Vieles hatte sich verändert und wir hatten nie wieder etwas über Meshomah Falls oder Ballynigel oder Hexen gehört. Wir dachten, wir hätten das alles hinter uns gelassen.«
»Dann haben wir deine Wicca-Bücher gefunden«, sagte Dad. »Und plötzlich war alles wieder da, all die alten Erinnerungen, die schrecklichen Geschichten, die Angst. Ich dachte, jemand hätte dich gefunden und hätte dir diese Bücher aus einem bestimmten Grund gegeben.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe sie selbst gekauft.«
»Vielleicht waren wir unvernünftig«, sagte Mom langsam. »Aber du weißt nicht, wie es ist, wenn man sich Sorgen macht, das eigene Kind könnte einem geraubt werden oder es könnte ihm etwas zustoßen.
Vielleicht ist das, was du machst, ganz harmlos, und die Leute, mit denen du es tust, wollen dir nichts Böses. «
»Natürlich wollen sie mir nichts Böses«, sagte ich und dachte an Cal, seine Mutter und meine
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