Das Buch der Schatten 2
frieren.«
»Na gut«, meinte Cal. Matt kam mit einer Schüssel Popcorn herein und Cal nahm sich eine Handvoll. »Vielleicht ein andermal.«
Als niemand in unsere Richtung sah, schnitt ich ihm eine Grimasse und er lachte leise. Dann lehnte ich mich an ihn, fühlte seine Wärme und war glücklich. Es war ein fantastischer, belebender Kreis gewesen, auch ohne Bree.
Doch mein Lächeln verschwand, als ich überlegte, wo und vor allem mit wem sie und Raven wohl heute Abend zusammen waren.
14
LEKTION
7. Mai 1982
Wir verlassen diesen seelenlosen Ort. Ich habe als Kassiererin in einem Restaurant gearbeitet, und Angus war in den Schlachthöfen beschäftigt, wo er riesige amerikanische Rinderhälften entladen und an Hanken hängen musste. Ich habe das Gefühl, meine Seele stirbt, und Angus empfindet dasselbe. Wir sparen jeden Penny, damit wir hier wegkönnen, irgendwo anders hin.
Kaum Neuigkeiten von zu Hause. Von Belwicket ist niemand übrig, der uns erzählen könnte, was passiert, und die Brocken, die wir hier und da aufschnappen, reichen nicht, um sich ein genaues Bild zu machen. Ich weiß nicht einmal, warum ich noch in dieses Buch schreibe, außer als Tagebuch. Es ist kein Buch der Schatten mehr. Das ist es nicht mehr seit meinem Geburtstag, als meine Welt zerstört wurde. Seit ich hier bin, habe ich keine Magie gewirkt, und Angus auch nicht. Und ich werde auch keine mehr wirken. Sie hat doch zu nichts anderem geführt als Zerstörung.
Ich bin erst zwanzig, und doch ist mir, als wäre ich schon bereit für die Umarmung des Todes.
– M.R.
Am nächsten Morgen während des Gottesdienstes kam mir plötzlich eine Idee. Ich schaute zu den dunklen Beichtstühlen hinüber. Nachdem die Messe vorbei war, erklärte ich meinen Eltern, ich wollte noch beichten. Sie wirkten ein wenig überrascht, aber was sollten sie schon sagen?
»Ich komme heute nicht mit zum Essen«, fügte ich hinzu. »Wir sehen uns später zu Hause.«
Mom und Dad sahen einander an, dann nickte Dad.
Mom legte mir die Hand auf die Schulter. »Morgan …«, setzte sie an, dann schüttelte sie den Kopf. »Nichts. Bis später zu Hause.«
Mary K. sah mich an, sagte jedoch nichts. Mit besorgter Miene ging sie mit meinen Eltern zum Auto.
Ungeduldig wartete ich in der Schlange, während die Gemeindemitglieder eines nach dem anderen hineingingen, um ihre Sünden zu beichten. Mir wurde bewusst, dass ich wahrscheinlich hätte mithören können, was sie sagten, doch ich wollte es nicht versuchen. Es wäre falsch. Vermutlich bekam Vater Hotchkiss hin und wieder ziemlich heiße Sachen zu hören. Und wahrscheinlich auch so manches, was richtig langweilig und banal war.
Schließlich war ich an der Reihe. Ich kniete mich in den Beichtstuhl und wartete darauf, dass das kleine vergitterte Fenster aufgeschoben wurde. Als dies geschah, bekreuzigte ich mich und sagte: »Vergib mir, Vater,
denn ich habe gesündigt. Es ist, ähm …«, ich überlegte rasch, »… vier Monate her, seit ich das letzte Mal gebeichtet habe.«
»Fahr fort, mein Kind«, sagte Vater Hotchkiss, wie er es mein ganzes Leben lang getan hatte, seit ich zur Beichte ging.
»Ähm …« Ich hatte gar nicht weiter überlegt und hatte kein Sündenregister parat. Und über einiges, was ich zurzeit tat, wollte ich wirklich nicht reden. Außerdem betrachtete ich es nicht als Sünde. »Also, in letzter Zeit bin ich sehr wütend auf meine Eltern«, fing ich kühn an. »Ich meine, ich liebe meine Eltern, und ich versuche sie zu respektieren, aber … kürzlich habe ich herausgefunden, dass ich adoptiert bin.« So. Ich hatte es gesagt, und ich sah, dass Vater Hotchkiss’ Kopf auf der anderen Seite des Gitters ein wenig hochfuhr, als er meine Worte in sich aufnahm. »Ich bin durcheinander und wütend, dass sie es mir nicht längst gesagt haben und auch jetzt nicht darüber reden wollen«, fuhr ich fort. »Ich will mehr über meine leiblichen Eltern wissen. Ich will wissen, wo ich herkomme.«
Es entstand eine lange Pause, in der Vater Hotchkiss das Gesagte verdaute. »Deine Eltern haben getan, was sie für das Beste hielten«, sagte er schließlich. Er stellte nicht infrage, dass ich adoptiert war, und wieder fühlte ich mich gedemütigt, dass praktisch jeder es gewusst hatte, nur ich nicht.
»Meine leibliche Mutter ist tot«, wagte ich mich weiter vor. Ich schluckte, denn es war mir unbehaglich und machte mich nervös, darüber zu reden. »Ich will mehr über sie wissen.«
»Mein Kind«, sagte Vater
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