Das Buch der Schatten - Böse Mächte: Band 6 (German Edition)
und ihn einhüllte. Mit ausdruckslosen Augen sank Cal zu Boden und seine Seele entwich seinem Körper.
Jetzt wusste ich es. Er war gekommen, um mir zu helfen.
Selene lief sofort zu ihm, warf sich schreiend auf seine Brust, schlug mit Fäusten auf ihn ein und versuchte, ihn wieder ins Leben zurückzuholen, während ich benommen und fassungslos zusah.
» Sgàth!«, schrie sie und ihre Stimme hatte nichts Menschliches mehr. » Sgàth! Komm zurück!« Ich hatte noch nie eine irische Todesfee gehört, doch so musste sie sich anhören, ein unmenschliches Klagen und Wimmern, in dem die ganze Qual der Welt enthalten war. Ihr Sohn war tot und sie hatte ihn umgebracht.
Während Hunter taumelnd auf mich zukam und meine Hand nahm, konnte ich ihn nur anstarren. Er sah wieder aus wie er selbst, blass und krank, doch so, wie ich ihn kannte.
» Jetzt«, krächzte er mit rauer Stimme. » Jetzt.«
Da fiel mir alles wieder ein, mein Gehirn funktionierte wieder, und Hunter und ich nutzten Selenes Trauer aus und vereinten unsere magischen Kräfte, um sie zu fesseln.
Ganz ruhig rief ich meine Magie und verwob sie noch einmal fest zu einem wunderschönen Käfig. Hunter trat vor und legte Selene den silbernen braigh um die Handgelenke. Sie war nicht auf der Hut, denn sie hatte Cals Gesicht umfasst und weinte um ihn. Sie schrie wieder auf, doch schon versengte die Kette ihr die Haut. Ich fuhr zurück bei diesem entsetzlichen Anblick: Cals Leichnam, Selenes Trauer, ihre unaufhörlichen Schreie, während sie wild um sich schlug und versuchte, den braigh abzustreifen.
Dann verharrte sie einen Augenblick, verdrehte die Augen nach innen und setzte zu einem tiefen, kehligen Gesang an. Ich sah, dass die Silberkette anfing, sich aufzulösen und zu zerbröseln. » Morgan!«, schrie Hunter und ich senkte rasch meinen wunderschönen Käfig aus Licht und Magie über sie.
Es war, als würde man einer schwarzen Motte zusehen, wie sie in einem Glas erstickte. Innerhalb einer Minute hatte Selenes Zorn sich ausgebrannt: Ihre Schreie wurden leiser, sie schlug nicht länger um sich, sondern lag gekrümmt in meinem magischen Spruch, als versuchte sie, sich vor dem Schmerz zu verkriechen.
Ich begegnete Hunters Blick, und er war entsetzt und erschüttert, doch in seiner Miene war auch die Anerkennung dessen, dass er sein Ziel endlich erreicht hatte. Er keuchte, Schweißperlen standen auf seinem blassen Gesicht und er sah mir in die Augen. » Lass uns hier verschwinden«, sagte er zitternd. » Dieser Ort ist böse.«
Doch ich starrte wie gebannt auf Cal. Der schöne Cal, den ich geküsst und so sehr geliebt hatte. Ich kniete mich hin und berührte sein Gesicht. Hunter versuchte nicht, mich daran zu hindern.
Ich zitterte und fuhr zurück, denn Cals Haut wurde schon kalt. Plötzlich drangen tiefe Schluchzer aus meiner Brust hervor. Ich weinte um Cal: um die kurze Illusion der Liebe, die mir so viel bedeutet hatte, darum, dass er sein Leben für mich geopfert hatte, um das, was er hätte sein können, wenn Selene ihn nicht so verbogen hätte.
Was dann geschah, ist schwer zu erklären. Hunter schrie plötzlich auf, und ich wirbelte mit tränennassen Wangen herum, und da sah ich Selene aufrecht und mit ausgestreckten Händen vor mir stehen. Ich sah die Blasen, doch der silberne braigh war fort. Der Blick ihrer goldenen Augen schien uns brennend zu durchbohren. Dann sank sie nieder und brach mit geschlossenen Augen auf dem Orientteppich zusammen. Ihr Mund ging auf und ein dunstiger, rauchähnlicher Schwall strömte heraus.
Hunter schrie noch einmal und riss mich zurück. Wir sahen zu, wie der Dunst nach oben trieb und durch das Fenster der Bibliothek verschwand. Dann war er fort und Selene lag reglos und grau am Boden. Hunter trat rasch vor und legte ihr die Finger an den Hals. Als er aufschaute, stand ihm der Schock in den Augen. » Sie ist tot.«
» Göttin«, flüsterte ich. Ich hatte geholfen, Selene– und Cal– umzubringen. Ich war eine Mörderin. Wie konnten Hunter und ich in einem Raum mit zwei Toten stehen? Es war unbegreiflich.
» Was war das für ein Rauch?« Meine Stimme war dünn und zittrig.
» Ich weiß nicht. So etwas habe ich noch nie gesehen.« Er sah besorgt aus.
» Morgan?«, hörte ich da Mary K.s Stimme und ich schüttelte meine Lähmung ab und ging zu ihr. Sie setzte sich blinzelnd auf, und dann kam sie zum Stehen und klopfte sich die Kleider ab. Sie sah sich um, als wäre sie gerade aus einem Traum erwacht, und vielleicht war
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